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Satori - Winslow, D: Satori - Satori

Titel: Satori - Winslow, D: Satori - Satori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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genügt nicht«, sagte Kang. »Ich kann keinen ausländischen Staatsbürger aufgrund von ›ziemlich sicheren‹ Tatsachen festnehmen und foltern, und am Ende stellt sich raus, dass er wirklich Michel Guibert ist. Darüber würden sich sogar die Franzosen aufregen.«
    Aber verlockend ist es doch, dachte Kang, äußerst verlockend. Der Gedanke, einen amerikanischen Spion über die Himmelsbrücke führen und erschießen zu lassen … und wenige Tage später würde Peng, dieses Arschloch, ihm folgen … damit wären so viele Probleme gelöst. Aber die Verbindung »Guibert-Hel« war, gelinde gesagt, dürftig.
    »Was brauchen Sie?«, fragte Woroschenin.
    Kang beugte sich vor und dachte ein paar Augenblicke darüber nach. »Vielleicht könnte der Vater versichern, dass dies nicht sein Sohn ist …«

51
    Nikolai stand vor dem Morgengrauen auf, trainierte zehn »Leoparden im Käfig« und zog sich für seinen täglichen Lauf an.
    Die sehr reale Möglichkeit, dass dies vielleicht sein letzter Morgen war, ließ die Luft schneidender und die Farben greller erscheinen und die alltäglichen Geräusche der erwachenden Stadt zur Symphonie anschwellen. Das Grollen eines Lkw-Motors, das Klingeln einer Fahrradglocke, das Klappern einer Abfalltonne, die über den Gehweg gezogen wurde, all das besaß eine klare, kristallene Schönheit, die Nikolai zum ersten Mal so richtig zu schätzen wusste.
    Die Bäume waren plötzlich von einer überraschenden frischen Schönheit. Kunstvolle Kompositionen aus Silber, Weiß und Schwarz, zart und perfekt ausgewogen, veränderten sich die Farbtöne im zunehmenden Licht. Das Eis auf dem See spiegelte ihre Bilder zurück, so wie ein Freund in einem Freund die besten Eigenschaften zur Geltung bringt.
    Der Morgen war wahrhaftig schön, die Menschen, die im Park ihre Tai-Chi-Übungen machten auch, ja ganz China war wahrhaftig schön, und Nikolai wurde schmerzlich bewusst, dass er all das vermissen würde, sollte er, was wahrscheinlich war, am Abend sterben.
    Aber bis heute Abend ist es noch lange hin, dachte er, und jetzt ist erst Morgen und ich werde jeden Moment genießen.
    Als er auf die gewölbte Brücke vor der Jade-Insel zulief, hängte sich ein anderer Jogger an seine Fersen.
    Das war neu, Nikolai konnte die Schritte des Fremden deutlich hinter sich hören. Er ballte die Fäuste und bereitete sich auf die Leopardenpfote vor, falls nötig. Der Läufer holte ihn ein, Smiley und der Windhund waren noch gute zwanzig Meter hinter ihnen.
    »Der Traum der westlichen Kammer« , hörte er den Läufer keuchen.
    »Was ist damit?«
    »Sei still und hör zu.«
    Der Läufer gab ihm laut schnaufend eine knappe Inhaltsangabe der Geschichte und sagte: »Gegen Ende, wenn sich der sheng und die dan wiederfinden …«
    Er sang:
    Ich habe die Liebenden zueinander gebracht
Obwohl ich böse Worte und Schläge litt
Der Mond steigt silbrig leuchtend empor
Ich bin die glückliche Rote Magd.
    »Dann gibt es viel Lärm – Gongs, Trommeln, Becken, einen Moment lang wird es dunkel …«
    »Ja?«
    »Das ist Ihr Moment.«
    Der Läufer beschleunigte, rannte an Nikolai vorbei auf die Insel und verschwand hinter einer Biegung. Nikolai hielt das Tempo, und dann beobachtete er etwas Seltsames.
    Ein einsamer Mönch kam ihm auf der Brücke entgegen.
    Sein Gang war merkwürdig, als hätte er Schmerzen oder als würde ihm eine alte Verletzung zu schaffen machen. Er kam mit kurzen, unsicheren Schritten auf ihn zu, wie ein alter Mann, der fürchtet, die Brücke könne vom Glatteis rutschig sein. Doch als er sich näherte, sah Nikolai, dass er gar nicht alt war.
    Seine Augen aber waren alt. Sie starrten Nikolai direkt an, als ob sie etwas suchten, und Nikolai begriff, dass diese Augen viel gesehen hatten, zu viel, Dinge, die kein Auge sehen sollte. Diese Augen bargen ein Wissen, das keinem Menschen aufgezwungen werden sollte.
    Nikolai blieb abrupt stehen.
    Der Mönch sagte leise: »Satori.«
    »Was?«
    » Satori . Dinge sehen, wie sie wirklich sind.«
    Der Mönch drehte sich um und humpelte zurück auf die Jadeinsel.
    Nikolai zögerte und folgte ihm. »Was sehe ich nicht?«
    »Die Falle«, entgegnete der Mönch. »Und den Ausweg.«
    Das Gemüse war vorzüglich, die gedämpften Teigtaschen köstlich, sogar der gewöhnliche Tee schmeckte besser als je zuvor.
    Ich sollte öfter sterben, dachte Nikolai, wenn ein möglicherweise bevorstehender Tod die Sinne derart verändert. Er konnte sich nur ausmalen, wie es wohl wäre, Solange an einem Tag

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