Satori - Winslow, D: Satori - Satori
konnte die Beziehungen empfindlich stören, und Woroschenin würde möglicherweise wieder in einer Zelle in der Lubjanka landen.
Lieber dort als tot, dachte er, und berührte die Pistole, die er sich vor dem Verlassen seiner Wohnung an jenem Morgen hinter den Gürtel geschoben hatte. Wenn es Hel ist und er vorhat, mich aufgrund irgendeiner eingebildeten Grausamkeit gegenüber der Schlampe, die seine Mutter war, zu töten, muss ich noch lange nicht das Opferlamm spielen.
Es heißt, er habe den japanischen General mit einem einzigen Schlag gegen die Kehle getötet. Na, das soll er mal probieren.
Ich habe drei Leibwächter, alle drei ausgebildete Judoka, alle drei bewaffnet. Und wenn doch einer an denen vorbeikommt, dann … Woroschenin berührte erneut den Griff seiner Pistole und fühlte sich sicherer.
Aber warum zittert meine Hand? Er nahm noch einen Schluck Wodka. Wenn das hier vorbei ist, muss ich was gegen die Sauferei unternehmen, dachte er. Vielleicht zur Kur in die Berge fahren. Frische Luft, Bewegung und so.
Hoffentlich muss ich Hel nicht erschießen, dachte er. Hoffentlich haben sie den alten Guibert erwischt, ihn gegrillt und aus ihm herausgequetscht, dass sein echter Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Dann muss ich mir gar keine Gedanken machen. Ich kann die Oper genießen, weil ich weiß, dass der junge Hel eine ganze andere Arie singen wird, nämlich eine, die Kang komponiert hat.
Aber jetzt klingel endlich, verfluchtes Telefon.
55
Der alte Mann war zäher, als es den Anschein hatte.
»Ich hatte schon mit der Sûreté zu tun«, erklärte er ihnen, »mit der Gestapo, der Union Corse und der Grünen Bande. Was wollt ihr, bande d’enfoirés , mir zeigen, das ich noch nicht gesehen habe?«
Sie drohten, ihn zu töten.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin alt. Alle drei oder vier Tage kann ich scheißen, wenn ich Glück habe, krieg ich noch einmal die Woche einen hoch. Nachts schlafe ich nicht mehr länger als drei Stunden. Wenn ihr meine Freunde seid, dann tötet ihr mich.«
Sie drohten, ihm wehzutun.
»Was wollt ihr hören, das ich euch noch nicht gesagt habe?«, entgegnete Guibert. »Ihr zeigt mir Bilder, ich hab euch gesagt, ja, das ist mein nichtsnutziger Sohn. Er denkt, das Geld fällt vom Himmel, und er verspielt alles. Tut mir nur weh.«
Er war ein zäher alter Vogel, einer, der nicht sang.
»Ist Michel in Peking?«, äffte er sie nach, nachdem sie ihm die klapprigen Schultern beinahe ausgekugelt hatten. »Was soll ich sagen? Er sollte dort sein. Heißt das, er ist wirklich da? Sagt ihr’s mir.«
»Was macht er da?«
»Soll Waffen kaufen«, sagt Guibert, »aber so, wie ich meinen Jungen kenne, steigt er den Weibern nach. Gibt’s noch welche in Peking? Wenn ihr ihn sucht, dann sucht ihn da. Wenn ihr ihn nicht findet, dann sucht irgendwo, wo es gezinkte Würfel gibt. Er wird drauf setzen.«
»Ihr Sohn ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen«, erklärten sie ihm. »Dieser Mann ist ein Betrüger.«
»Ich soll meinen eigenen Sohn nicht erkennen? Wieso macht ihr euch die Mühe und fragt einen Mann aus, der seinen eigenen Sohn nicht erkennt? Wie blöd müsst ihr sein?« Dann wurde der alte Mann aggressiv. »Wir sind in Hongkong. Hier gibt es Gesetze, anders als in den Drecklöchern, aus denen ihr gekrochen seid. Ich kenne jeden Bullen und jeden Gangster. Die Tongs nennen mich ›Sir‹. Wenn ihr mich jetzt gehen lasst, will ich das hier vergessen und als Irrtum verbuchen. Wenn nicht, häng ich euch an Fleischerhaken und kitzele euch die Füße. Also bindet mich los, ich muss pissen.«
Sie banden ihn los und führten ihn zur Toilette.
Das Telefon klingelte.
Woroschenin hatte den Hörer schon beim ersten Klingeln in der Hand.
»Ja?«
»Er ist zäh.«
»Na und?«
»Wir glauben, dass er die Wahrheit sagt.«
Woroschenin nicht. Er sah auf die Uhr an der Wand. Drei Stunden und fünfzehn Minuten. »Versucht es noch einmal.«
»Ich weiß nicht mehr, was …«
»Ich sage dir, was du zu tun hast«, sagte Woroschenin.
Als Guibert von der Toilette kam, kniete Winifred vor dem Stuhl, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. In ihrem Mund steckte der Lauf der Pistole des Kerls, der ihm zuvor die Fragen gestellt hatte. Er hatte den Finger am Abzug.
Der Mann sah Guibert an und sagte: »Drei, zwei …«
56
Nikolai stieg in die dampfende Wanne.
Ein Geschenk meines Karmas, dachte er, als er in das fast siedend heiße Wasser sank, einmal tief Luft holte, dann
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