Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Militär glaubte das niemand, schon gar nicht, da Kang Sheng »zufällig« zur selben Zeit ermordet aufgefunden worden war, ein Draht hatte sich ihm durchs Auge ins Gehirn gebohrt.
Der Plan der Amerikaner ging perfekt auf.
Moskau und Peking waren damit beschäftigt, sich eifrig gegenseitig Vorwürfe zu machen, und Mao hatte sich nun, da Kang ihn nicht mehr beschützen konnte, in irgendeinen Winkel verkrochen. General Li blieb ruhig und beständig, bereit, einzugreifen und das Chaos zu beenden.
Das einzige Problem, dachte Yu jetzt, während er Nikolai betrachtete, war das »Verschwinden« eines französischen Staatsbürgers, Michel Guibert.
Er war in der Oper gesehen worden. Woroschenins Leibwächter, die schnell nach Moskau zurückberufen wurden, hatten angeblich behauptet, Guibert habe, kurz bevor dieser das Zeitliche gesegnet hatte, neben Woroschenin in dessen Loge gesessen, sei aber plötzlich aufgestanden und gegangen.
Und dann verschwunden.
War er tot?
Hatte er etwas mit Woroschenins Tod zu tun?
Oder mit Kangs?
In Peking und Moskau brodelte die Gerüchteküche. Einige behaupteten, Guibert habe Woroschenin getötet, andere verbreiteten, es sei der Assistent Leotow gewesen, der ebenfalls kurz nach dem Ableben seines Vorgesetzten verschwunden war.
Die Russen waren davon überzeugt, Guibert sei ein chinesischer Agent, die Chinesen hielten mit der Behauptung dagegen, er habe für die Russen gearbeitet. Beide warfen einander vor, ihn zu verstecken oder getötet zu haben, damit er nicht reden könne. Der Große Vorsitzende selbst erklärte: »Mit Chaos auf Erden erreicht man Ordnung im Land.«
›Guibert‹ schlug die Augen auf.
»Wo sind wir?«, fragte Nikolai.
»Das müssen Sie nicht wissen«, entgegnete Yu.
Die Luft, wenn auch kühl, war für den Winter noch warm, und der Nanmubaum, den Nikolai durchs Fenster sehen konnte, wuchs oben im Norden nicht. Der kurze Wortwechsel, den er mitgehört hatte, als die Bediensteten rein- und rausgingen, war für ihn völlig unverständlich gewesen, kein Han-Chinesisch, sondern vermutlich ein Dialekt aus dem Süden.
»Sezchuan oder Yunnan«, sagte er.
»Yunnan«, gab Yu zu. »In den Bergen von Wuliang Shan.«
»Warum?«
»Peking war Ihrer Gesundheit nicht zuträglich.«
Nikolai erinnerte sich an seine Manieren: »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Dankbarkeit wäre fehl am Platz«, erwiderte Yu. »Ich habe nur meine Pflicht getan, Mr. Hel.«
88
» S eit wann kennen Sie meine wahre Identität?«, fragte er Yu.
»Wir wussten schon Bescheid, bevor Sie nach Peking kamen«, antwortete dieser. Er ratterte Nikolais Geschichte herunter – angefangen bei seiner Geburt in Schanghai, seinem Umzug nach Japan, der Ermordung Kishikawas, der Folter und Gefangenschaft durch die Amerikaner.
Die Chinesen wussten scheinbar alles. Nikolai konnte nur hoffen, dass sie nicht erkannt hatten, in welcher Beziehung er zu dem kürzlich verstorbenen Juri Woroschenin stand.
»Bin ich ein Gefangener?«, fragte Nikolai.
»Mir wäre es lieber, Sie würden sich als Gast betrachten.«
»Darf der Gast aufstehen und gehen?«
»Die Frage ist rhetorischer Natur«, erwiderte Yu. »Sie sind gar nicht in der Lage aufzustehen, geschweige denn irgendwohin zu gehen. Und selbst wenn, Sie können nirgendwohin. Man sucht Sie überall, Mr. Hel. Wahrscheinlich ist dies der einzige Ort auf der Welt, an dem Sie sicher sind.«
Eine leider äußerst präzise Zusammenfassung seiner Situation, dachte Nikolai, an der sich seit dem Mord an Kishikawa-sama nichts geändert hatte. Die Orte und Umstände unterschieden sich, die grundlegenden Fakten jedoch nicht.
Ich bin ein Gefangener.
Er hörte Kishikawas Stimme. Wenn dir keine Wahl mehr bleibt, so ist es ehrenhaft, die Gefangenschaft zu akzeptieren, obgleich du seppuku in Betracht ziehen magst. Aber du hast Alternativen.
Welche?
Nikko, das musst du selbst herausfinden. Nimm das go-kang. Wenn du in der Falle sitzt und keinen Ausweg siehst, dann schaffe dir einen.
Bitte, Kishikawa, wie?
Es ist dein Spiel, Nikko. Du musst selbst spielen, niemand kann dir das abnehmen.
»Sie wollten Woroschenin tot sehen«, sagte Nikolai und wagte sich damit einen Schritt vor.
»Offensichtlich.«
»Damit es zum Zerwürfnis mit den Sowjets kommt.«
Yu nickte.
»Und Sie haben mich aus dem Hinterhalt der Amerikaner gerettet, weil …«
»Wie oft bekommen wir schon Gelegenheit, einen amerikanischen Agenten festzusetzen, der derart motiviert sein dürfte zu
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