Satori - Winslow, D: Satori - Satori
vornehm und sinnlich wirkt.
»Willkommen in meinem Heim, Monsieur. Ich hoffe, Sie werden sich wohlfühlen.«
»Das werde ich sicher.«
Solange bot ihre Hand zum Kuss an, als wäre sein Gesicht nicht größtenteils unter Verbandsmull verborgen. Er nahm ihre Hand in die seine – ihre Finger waren lang und schlank – und küsste sie, der Baumwollverband berührte ihre Haut zeitgleich mit seinen Lippen. »Enchanté.«
»Darf ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen?«
»S’il vous plaît« , sagte Nikolai. Der lange Flug aus den Vereinigten Staaten nach Tokio hatte ihn ermüdet.
»S’il vous plaît« , sagte sie und korrigierte sachte seine Aussprache, hielt den letzten Vokal etwas länger.
Nikolai nahm die Kritik an und wiederholte die Formulierung, wobei er ihre Artikulation nachahmte. Sie belohnte ihn mit einem anerkennenden Lächeln. »Ihre Kinderfrau stammte aus Tours, non ? Der reinste Akzent in Frankreich. Aber wir müssen Ihnen einen accent du Midi antrainieren.«
»Deshalb bin ich hier.«
»Ich komme aus dem Süden«, erzählte sie ihm. »Montpellier.«
»Dort bin ich nie gewesen.«
»Es ist wunderschön«, sagte sie. »Sonnig und warm. Und das Licht …«
Sein Zimmer war einfach, aber geschmackvoll eingerichtet, die Wände waren in einem freundlichen, nicht zu aufdringlich fröhlichem Gelb, die wenigen Möbel in einem mittleren Blauton gestrichen, der hervorragend zu den Wänden passte. Das große Bett – nach der Pritsche in seiner Zelle erschien es ihm riesig – war mit einer blauen Daunendecke bedeckt. In einer Vase auf dem Nachttisch stand eine einzelne Chrysantheme.
»Das ist eine japanische Blume, non ?«, fragte Solange.
»Ja.«
»Und Sie haben sie vermisst.«
»Ja«, sagte er und war seltsam gerührt. »Danke.«
»Problème.«
»Verzeihung, wie bitte?«
»Grammatikalisch korrekt wäre ›pas de problème‹ «, sagte sie, »Aber – comment vous dites – ›umgangssprachlich‹ sagt man einfach ›problème‹ . Oui? «
»D’accord.«
»Aber vielleicht mit ein bisschen mehr Betonung auf dem ›d‹, bitte. Comme ça .« Sie formte ihren Mund auf eine Weise, die Nikolai ziemlich attraktiv fand. »D’accord.«
»D’accord.«
»Ein bisschen mehr durch die Nase, bitte.«
Er wiederholte das Wort, diesmal mit einer nasalen Note.
»Formidable« , sagte sie. »Achten Sie auf die Andeutung einer vierten Silbe, aber nur einen Hauch, bitte. Sie wollen nicht klingen wie ein Bauerntrampel, sondern wie ein kultivierter Herr aus dem Süden. Sind Sie müde oder möchten Sie jetzt zu Mittag essen?«
»Ich bin noch hungriger als müde.«
»Ich habe mir erlaubt, etwas vorzubereiten.«
Sie führte ihn in ein kleines Esszimmer. Vom Fenster aus blickte man auf einen karesansui , einen japanischen Steingarten, eingegrenzt von einer hohen Bambusmauer. Der Garten war mit viel Geschick angelegt und erinnerte ihn an den Garten, den er selbst einst in seinem Tokioter Zuhause mit so großer Sorgfalt gestaltet hatte. Dort hatte er, bevor er die Entscheidung traf, Kishikawa-sama zu töten, ein gewisses Maß an Zufriedenheit erlangt. Er fragte: »Wird mir die Freiheit gewährt, den Garten zu nutzen?«
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Solange Sie hier sind, ist das Ihr Zuhause.«
»Bitte, wie lange wird das sein?«
»Bis Sie wieder gesund sind«, sagte sie und wich damit seiner Frage geschickt aus. Dann setzte sie mit einem frechen Grinsen hinzu: »Und ordentlich Französisch sprechen.«
Solange wies auf einen Stuhl am Tisch.
Er setzte sich, während sie in die Küche ging.
Das Zimmer war wie das restliche Haus vollkommen europäisch eingerichtet, und er fragte sich, wo sie all diese Einrichtungsgegenstände wohl gekauft hatte. Womöglich aber war das gar nicht ihre Aufgabe gewesen, überlegte er, wahrscheinlich hatten ihre amerikanischen Auftraggeber die Mittel für den Nachbau eines französischen Landhauses mit daran anschließendem karesansui bereitgestellt. Zweifellos hofften sie, er würde seine französische »Tarnung« durch eine Art Osmose mit der Inneneinrichtung übernehmen, und ebenso zweifellos verdankten sie diese Hoffnung der Beratung durch einen »Psychologen«, jene Priester der neuen amerikanischen Zivilreligion. Trotzdem wirkte das Zimmer angenehm und appetitanregend.
Dasselbe galt für den Duft, der aus der Küche strömte. Köstlich, vielleicht mit etwas Wein abgelöscht, und er glaubte, den leicht moderigen Geruch von Pilzen zu erkennen. Solange kehrte zurück,
Weitere Kostenlose Bücher