Saturn
die sie an jenem Tag gesehen hatte, in
allen Details Revue passieren. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
»Aber wer? Und wieso?«
Holly zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich wünschte, ich
wüsste es.«
Wahlkampfreden
Die politische Debatte fand im Freilichttheater des Habitats
statt, einer großen Betonmuschel, die mit ihrer eleganten
Wölbung die Schallwellen bündelte, die auf der Bühne erzeugt
wurden und in die Sitzreihen abstrahlte, die im Gras
aufgestellt waren.
Das ist eine recht große Menge, sagte Eberly sich, als er den
Blick über die Zuhörer schweifen ließ. Es müssen mehr als
tausend Leute sein, und noch viel mehr Video-Zuschauer.
Drei Meter zu seiner Linken saß Edouard Urbain auf der
Bühne; er wirkte elegant, aber auch steif in seinem
altmodischen taubengrauen Anzug und mit einem
himmelblauen Stehkragenhemd. Neben ihm saß Timoschenko,
der einen griesgrämigen Eindruck machte; er trug einen
grauen Overall, um die Verbundenheit mit seinem
Berufsstand zu demonstrieren. Eberly mutete er eher wie ein
Hausmeister an. Eberly selbst trug ein anthrazitfarbenes
Gewand und eine bequeme Hose in einem etwas helleren
Grau ‒ gemäß der Kleiderordnung, die er selbst erlassen hatte.
Wilmot stand in seinem obligatorischen Tweed-Jacket und
der formlosen Hose am Podium und erläuterte die Regeln der
Debatte.
»…jeder Kandidat beginnt mit einer fünfminütigen
Zusammenfassung seiner Position. Dann gibt es noch einmal
fünf Minuten für eine Gegenrede. Anschließend wird das
Gremium sich den Fragen der Zuhörer stellen.«
Eberly musste ein Grinsen unterdrücken. Vyborg und
Kananga hatten das Publikum nämlich mit ein paar Dutzend
Anhängern ›unterwandert‹. Die würden dann solche Fragen
stellen, dass sie und Eberly sich die Bälle sozusagen
gegenseitig zuspielten. Er hatte nicht die Absieht, Urbain oder
Timoschenko länger als unbedingt nötig zu Wort kommen zu
lassen.
»Ich möchte Ihnen nun Dr. Edouard Urbain vorstellen, den
Leiter unserer Wissenschafts-Abteilung«, sagte Wilmot und las
Urbains Lebenslauf vom Display auf dem Podium ab.
Gähnend langweilig, sagte Eberly sich. Wen interessiert es
schon, welche akademischen Ehren er in Quebec erworben
hat?
Dann erhob Urbain sich und ging von spärlichem Applaus
begleitet zum Podium. Es sind nur ein paar Wissenschaftler im
Publikum, sagte Eberly sich. Umso besser. Dann fiel ihm auf,
das Urbain leicht hinkte. Seltsam, dass mir das nicht schon
früher aufgefallen ist. Hat er sich das erst vor kurzem
zugezogen oder hatte er immer schon leicht gehinkt? Eberly
ließ den Blick übers Publikum schweifen und erkannte ein
paar von seinen Leuten, einschließlich Holly und des
Stuntmans Gaeta, die in der ersten Reihe saßen. Gut. Wie ich
es angeordnet habe.
Urbain räusperte sich und sagte: »Wie Sie wissen, bin ich
kein Politiker. Aber ich bin ein guter Administrator. Die
Leitung von über einhundert höchst individualistischen
Wissenschaftlern und ihrer Assistenten ist in etwa damit zu
vergleichen, ein Rudel Katzen darauf zu dressieren, im
Gleichschritt zu marschieren.«
Er hielt inne und wartete auf Gelächter. Aber nur
vereinzeltes Gekicher wurde im Publikum laut.
Mit einem leicht pikierten Gesichtsausdruck fuhr Urbain
fort: »Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen zeige, wie ich die
wissenschaftlichen Programme dieses Habitats leite. In dieser
ersten Abbildung sehen wir…«
AVs! Eberly vermochte nur mit Mühe einen Jubelruf zu
unterdrücken. Er zeigt audiovisuelle Darstellungen, als ob dies
eine wissenschaftliche Konferenz wäre. Die Zuhörer werden
dabei einschlafen!
Holly fühlte sich in Gaetas unmittelbarer Nähe unwohl, doch
Eberly hatte ihr gesagt, dass sie den Stuntman zur
Versammlung mitbringen solle, und diese Anweisung hatte
sie auch befolgt.
Gaeta hatte sein charmantestes Lächeln aufgesetzt, als Holly
ihn anrief. »Ich soll mit dir zur Versammlung gehen? Ich
mache mir aber nicht viel daraus, Reden zuzuhören.«
»Dr. Eberly hat aber ausdrücklich um deine Anwesenheit
ersucht«, hatte Holly in der Sicherheit ihres Büros zu seinem
Bild gesagt. »Du würdest ihm damit einen Gefallen tun.«
»Eberly, hä?« Gaeta ließ sich das für einen Moment durch
den Kopf gehen. »In Ordnung, wieso nicht? Dann können wir
anschließend zusammen zu Abend essen. Okay?«
Obwohl Holly inzwischen wusste, was Gaeta für ein
Schürzenjäger war, wollte sie zustimmen. Dennoch sagte sie:
»Ich bin
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