Saturn
hatte,
bevor er sie verschlüsselt an die Erde sandte. Jeden Abend
schaute der Professor sich stundenlang Videos an.
Morgenthau spulte sie im schnellen Vorlauf vor. Sie
vermochte sie aus der Perspektive der Kamera, die in der
Decke von Wilmots Wohnzimmer installiert war, nicht klar zu
sehen, und den Ton vermochte sie auch nicht zu hören, weil
Wilmot sich nämlich einen Ohrhörer ins Ohr gestöpselt hatte.
Stundenlang schaute er sich diese Videos an.
Und stundenlang sichtete Morgenthau die Videos auf der
Suche nach etwas Greifbarem, Sündigem oder Illegalem oder
auch nur Peinlichem – irgend etwas, mit dem man Professor
Wilmot kompromittieren konnte.
Zu Tode gelangweilt und übermüdet gähnte Morgenthau
und rieb sich die Augen unter den schweren Lidern. Ich kann
nicht länger wach bleiben, sagte sie sich. Genug ist genug.
Sie schaltete den Monitor aus, der den noch immer gebannt
auf seine Unterhaltungsvideos starrenden Wilmot zeigte, und
wollte sich schon aus dem Liegesessel erheben. Dann fiel ihr
jedoch ein, dass sie noch überprüfen musste, ob Wilmot
irgendwelche Nachrichten vom Habitat zur Erde gesendet
hatte. Sie wusste, dass er jede Woche einen verschlüsselten
Report an irgendeine Stelle in Atlanta schickte. Mit einem
kryptischen Inhalt ‒ auch nachdem der Computer die Berichte
entschlüsselt hatte. Es war schon seltsam, dass der
Unbekannte, dem Wilmot berichtete, in derselben Stadt
residierte wie das Hauptquartier der Neuen Moralität.
Morgenthau tat das mit einem Achselzucken als bloßen Zufall
ab.
Im Halbschlaf rief sie die Datei mit den versandten
Nachrichten auf. Außer dem üblichen kurzen Bericht für
Atlanta gab es diesmal eine noch kürzere Mitteilung an
irgendeine Adresse in Kopenhagen. Und er hatte sie auch
nicht über die übliche Funkverbindung gesandt, sondern über
eine gebündelte Laserstrecke.
Plötzlich war Morgenthau wieder hellwach und wählte die
gleiche Nummer in Kopenhagen an, um den Empfänger von
Wilmots Botschaft ausfindig zu machen.
»Sie weiß Bescheid?«, fragte Vyborg entsetzt.
»Sie hat zumindest einen Verdacht«, erwiderte Eberly, der
zwischen Vyborg und Kananga den gewundenen Pfad
entlangging.
Für einen flüchtigen Beobachter schienen die drei Männer
einen gemütlichen Spaziergang auf dem von Blumen
gesäumten Pfad unterhalb von Athen zu machen.
Spätmorgendliches Sonnenlicht strömte durch die
Sonnenfenster des Habitats. Bienen summten zwischen den
Hyazinthen und Stockrosen, und Schmetterlinge flatterten
umher. Der kleine, dürre Vyborg ging leicht vornüber gebeugt
und schaute grimmig wie jemand, der gerade etwas Ekliges
verschluckt hatte. Selbst der große, majestätische Kananga auf
Eberlys anderer Seite schaute etwas besorgt.
»Und sie hat Sie um Hilfe gebeten«, sagte Kananga.
Eberly nickte bedächtig. »Ich habe ihr angeboten, sie in Ihr
Büro zu begleiten.«
»Nicht im Büro«, sagte Kananga. »Es gibt dort zu viele
neugierige Augen. Wir werden uns an einem verschwiegenen
Ort treffen müssen.«
»Und wo?«, fragte Eberly.
»Wie war's am Ort des Verbrechens?«, schlug Vyborg vor.
Kananga lächelte strahlend. »Perfekt.«
Eberly schaute von einem zum andern. Sie wollen mich in
ihre kriminellen Machenschaften verstricken, wurde er sich
bewusst. Sie wollen mich zum Komplizen bei einem weiteren
Mord machen. Aber welche Alternative hätte ich? Wie kann
ich mich da raushalten?
»Ich sage ihr, dass wir uns an dem Ort treffen werden, wo
der alte Mann gestorben ist ‒ aber ich werde selbst nicht dort
erscheinen«, sagte er.
»Dafür werde ich da sein«, sagte Kananga.
»Sie muss aber auf Nimmerwiedersehen verschwinden«,
sagte Eberly. »Für noch einen Toten wird uns keine plausible
Ausrede mehr einfallen.«
»In einem so großen Habitat wie diesem muss es doch ein
paar tausend Örtlichkeiten geben, wohin sie verschwunden
sein kann«, sagte Vyborg.
»Ich will nicht, dass ihre Leiche gefunden wird«, wiederholte
Eberly.
»Das wird sie auch nicht«, sagte Kananga. »Wozu gibt es
schließlich Luftschleusen.« Er schaute an Eberly vorbei auf
Vyborg. »Du wirst es doch schaffen, die AufZeichnungen der
Luftschleusen-Überwachungskamera zu löschen, oder?«
Vyborg nickte. »Ich werde sie durch unverfängliches
Bildmaterial ersetzen.«
»Gut«, sagte Kananga.
Eberly holte tief Luft. »Sehr gut. Wann soll es über die Bühne
gehen?«
»Je eher, desto besser.«
»Also heute
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