Saturn
Ankunft
»Was ist denn so wichtig, dass Sie mich beim Essen stören
müssen?«, fragte Wilmot gereizt.
Eberly lächelte. Die letzten zwei Stunden hatte er damit
verbracht, Morgenthaus Aufzeichnungen von Wilmots
abendlichen Aktivitäten zu sichten. Morgenthau hatte die Art
der Unterhaltung, die der Professor bevorzugte, abstoßend
gefunden, doch Eberly war von der Mischung aus Erotik und
Gewalt fasziniert, die in den Videos gezeigt wurde. Nun stand
er in Wilmots Wohnzimmer und schaute den Professor an, der
missbilligend die Stirn gerunzelt hatte.
»Wir haben ein ernstes Problem, Professor, mit dem wir uns
befassen müssen«, sagte Eberly.
»Und das wäre?«
»Eine Mitarbeiterin der Abteilung Human Resources ist
verschwunden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie ein
psychisches Problem hat.«
»Was?« Wilmot schien entsetzt. »Um wen handelt es sich?«
»Holly Lane. Sie haben sie bereits kennen gelernt.«
»Habe ich das?«
Eberly registrierte in aller Deutlichkeit, dass Wilmot ihm
noch immer keinen Stuhl angeboten hatte. Die beiden Männer
standen sich kaum einen Meter im Eingangsbereich von
Wilmots Apartment gegenüber. Innerlich freute Eberly sich. Er
wusste nämlich, dass er den Professor von seiner
allabendlichen Unterhaltung abhielt.
»Ich befürchte, dass es zum Teil auch meine Schuld ist«,
sagte Eberly und versucht zerknirscht zu klingen. »Ich hatte
sie die ganze Zeit geschützt. Nun ist sie aber doch
zusammengebrochen.«
Wilmot schaute verwirrt und mehr als nur ein wenig
verärgert.
Eberly fischte seinen Palmtop-Computer aus der Kutte und
projizierte Hollys Dossier an die Wand über Wilmots Sofa.
Der Professor erkannte Hollys Gesicht. »Mit ihr sind Sie doch
vor einiger Zeit hierher gekommen.«
»Ja.« Eberly schüttelte betrübt den Kopf. »Wie Sie sehen, hat
sie seit längerer Zeit psychische Probleme.« Er hatte Stunden
darauf verwandt, Hollys Dossier gründlich zu frisieren.
»Solang sie ihre Medikamente einnimmt, wirkt sie völlig
normal. Wenn sie sie jedoch absetzt…«
Wilmot studierte das Dossier kurz und fragte: »Wieso sollte
sie ihre Medikamente absetzen?«
»Es hat mit diesem Diego Romero zu tun. Holly war vom
Tod des alten Mannes wie besessen. Sie redete sich ein, dass
man ihn ermordet hätte.«
»Ermordet?«
»Das ist natürlich Unsinn. Heute Nachmittag hat sie aber
Oberst Kananga angegriffen. Sie versuchte ihn zu töten, und
zwar genau an derselben Stelle, wo der alte Mann zu Tode
kam.«
»Großer Gott! Und wo ist sie nun?«
»Verschwunden ‒ wie ich Ihnen bereits sagte. Kananga hat
eine Suchaktion nach ihr gestartet.«
Wilmot nickte zufrieden. »Sehr gut. Es sieht so aus, dass
Kananga zur Abwechslung mal das Richtige tut. Aber wieso
behelligen Sie mich damit?«
»Weil ich möchte, dass Sie mich zum stellvertretenden Leiter
des Habitats ernennen.«
»Zum Stellvertreter? Ich brauche keinen Stellvertreter.«
»Ich glaube doch. Sie werden mich zum stellvertretenden
Leiter ernennen und dann von der Leitung des Habitats
zurücktreten.«
»Ich soll zurücktreten? Und meinen Posten an Sie abtreten?
Das ist ja lächerlich!«
»Das ist mitnichten lächerlich«, sagte Eberly leise. »Sie
werden zurücktreten, und ich werde Ihre Amtsgeschäfte
fortführen.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage!«
»Nach Ihrem Rücktritt«, fuhr Eberly fort, »können Sie dann
den ganzen Tag Ihre schmutzigen Videos anschauen und nicht
nur abends.«
Wilmot wankte einen Schritt zurück. Die Farbe wich ihm aus
dem Gesicht.
»Dieses Habitat braucht eine starke Führung«, sagte Eberly.
»Vor allem angesichts der bevorstehenden Wahlen und der
Ankunft am Saturn. Sie haben Ihre Arbeit ganz gut gemacht,
Professor. Nun ist es an der Zeit, dass sie einem anderen Platz
machen.«
»Und Ihnen alles übergeben? Niemals!«
Eberly zuckte die Achseln. »In diesem Fall werden wir Ihre
speziellen Vorlieben der gesamten Population des Habitats
bekannt machen müssen.«
»Wir? Wen meinen Sie damit?«
»Wir wollen Sie nicht kompromittieren, Professor. Treten Sie
einfach zurück und übergeben Sie mir die Kontrolle, und
niemand wird je von Ihrer kleinen perversen Neigung
erfahren.«
Wilmot ließ sich sprachlos auf den nächsten Stuhl sinken.
Kris Cardenas lag im Bett und ging der Frage nach, ob sie
wieder einmal ihr Leben verpfuschte. Wofür werde ich mich
diesmal entscheiden, fragte sie sich: für ein hartherziges Weib
oder eine romantische
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