Saturn
viele von Ihnen
sogar noch länger.«
»Und wann kommen die anderen?«
»Zunächst muss der Personalausschuss geeignete Bewerber
auswählen. Nachdem sie die abschließenden körperlichen und
psychologischen Eignungstests durchlaufen haben, werden sie
an Bord kommen. Ungefähr zwei Drittel der verfügbaren
Stellen haben wir bereits besetzt, und wir können uns vor
Bewerbern kaum retten.«
Die anderen stellten weitere Fragen, die Wilmot geduldig
beantwortete. Eberly filterte die Stimmen aus der bewussten
Wahrnehmung aus. Er ließ den Blick durch das riesige Habitat
schweifen und genoss diesen Moment der Entdeckung, die
Ankunft in einer neuen Welt. Zehntausend, mehr dürfen sich
uns nicht anschließen. Doch in diesem Habitat hätten leicht
hunderttausend Menschen Platz. Sogar eine Million!
Er dachte an die ärmlichen Verhältnisse, in denen er
aufgewachsen war: acht, zehn, sogar zwölf Leute in einem
Raum. Und dann die gnadenlose Disziplin der Klosterschulen.
Und das Gefängnis.
Zehntausend Menschen, sinnierte er. Sie werden hier ein
Leben im Luxus führen. Sie werden wie Könige leben!
Er lächelte. Nein, sagte er sich. Es wird hier nur einen König
geben. Einen Herrn. Dies wird mein Königreich sein, und jeder
darin wird sich meinem Willen beugen müssen.
Wien: Gefängnis Schönbrunn
Über ein Jahr, bevor er vom Habitat Goddard überhaupt
Kenntnis erlangt hatte, war Malcolm Eberly plötzlich aus dem
Gefängnis entlassen worden, nachdem er noch nicht einmal
die Hälfte seiner Strafe wegen Betrugs und Untreue verbüßt
hatte.
Der weitläufige alte Palast von Schönbrunn war nach den
Flüchtlings-Aufständen, durch die ein großer Teil von Wien
und dessen Umgebung verwüstet worden waren, in ein
Gefängnis umgewandelt worden. Als Eberly erfahren hatte,
dass er die Haftzeit in Schönbrunn absitzen würde, hatte er
noch Hoffnung gehegt: Wenigstens handelte es sich nicht um
ein schmutziges Staatsgefängnis, wo Gewohnheitsverbrecher
einsaßen. Doch wurde er schnell eines Besseren belehrt: Ein
Gefängnis ist und bleibt nun einmal ein Gefängnis, in dem
Verbrecher und Perverse einsitzen. Schmerz und Demütigung
waren ständige Gefahren, Furcht sein ständiger Begleiter.
Der Morgen hatte begonnen wie immer: Eberly wurde vom
durchdringenden Signal einer Trillerpfeife aus dem Schlaf
gerissen. Er schwang sich von der oberen Koje herunter und
wartete stumm, während seine drei Zellengenossen das
Waschbecken und die Toilette benutzen. Er hatte sich an den
Gestank der Zelle gewöhnt und schon zu Beginn der Haft
gelernt, dass Beschwerden nur mit Schlägen quittiert wurden ‒
entweder von den Wärtern oder den Zellengenossen.
Es existierte eine Hierarchie unter den Gefangenen.
Diejenigen, die mit dem organisierten Verbrechen in
Verbindung standen, führten die Hackordnung an. Mördern,
sogar jenen armen Teufeln, die aus Leidenschaft töteten,
wurde mehr Respekt entgegengebracht als Dieben oder
Kidnappern. Kleine Gauner, zu denen Eberly gehörte, waren
am unteren Ende der Hierarchie angesiedelt und mussten
Handlangerdienste für ihre ›Vorgesetzten‹ verrichten, ob sie
wollten oder nicht.
Zum Glück war Eberly in eine Zelle verlegt worden, deren
Capo ein früherer Kfz-Mechaniker aus Kalabrien war, den
man wegen Bandenkriminalität, Terrorismus, Banküberfällen
und Mord schuldig gesprochen hatte. Obwohl kaum des
Lesens und Schreibens kundig, war der Kalabrier der
geborene Organisator: Er führte seinen Gefängnistrakt wie ein
mittelalterliches Lehen, schlichtete Streit und setzte eine
brachiale Art von Gerechtigkeit durch ‒ und das so effizient,
dass die Wachen ihm gestatteten, den Frieden unter den
Häftlingen auf seine Art und Weise zu bewahren. Irgendwann
erkannte der Capo, dass er jemanden brauchte, der einen
Computer bedienen konnte, um den Kontakt zu seiner Familie
in ihrem Bergdorf und zu den versprengten Mitgliedern seiner
Bande aufrechtzuerhalten, die sich noch immer in den Hügeln
versteckten. Also wurde Eberly sein Sekretär, und ab diesem
Zeitpunkt durfte ihn niemand mehr behelligen.
Es war die geisttötende Routine jedes langen, öden Tags, die
Eberly seelisch krank machte. Seit er unter dem Schutz des
Kalabriers stand, hatte er in körperlicher Hinsicht keine
Probleme mehr, doch die triste Monotonie der Zelle, des
Essens, der Gestank, die stupiden Unterhaltungen der anderen
Gefangenen ‒ Tag für Tag, Woche für Woche ‒ drohten ihn
um
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