Saturn
den Verstand zu bringen. Er versuchte sich durch tägliche
Besuche in der Gefängnisbücherei geistig zu beschäftigen.
Dort durfte er den streng überwachten Computer benutzen,
um wenigstens eine virtuelle Verbindung zur Außenwelt
herzustellen. Die meisten Unterhaltungs-Websites wurden
entweder zensiert oder waren gar nicht erst zugänglich, doch
die Gefängnisleitung gestattete ‒ ermutigte sogar ‒ den Besuch
von Bildungs-Websites. In seiner Verzweiflung meldete Eberly
sich für einen Kurs nach dem andern an, schloss ihn in der
Regel viel schneller ab als vorgesehen und eilte dann zum
nächsten.
Anfangs belegte er alle Kurse, die gerade angeboten wurden:
Renaissance-Malerei, Transaktions-Psychologie, Kläranlagen-
Technik, Goethes Dichtkunst. Er spielte dabei überhaupt keine
Rolle, um welches Thema es sich handelte; Hauptsache, er war
beschäftigt und vermochte für ein paar Stunden am Tag dem
Gefängnis zu entfliehen, auch wenn es nur über den Computer
geschah.
Allmählich entwickelte er jedoch eine Vorliebe fürs Studium
der Geschichte und Politik. Schließlich bewarb er sich um
einen Studienplatz an der Fern-Universität von Edinburgh.
Zu seiner großen Überraschung holte an einem Morgen wie
jedem anderen der Gefängnisdirektor ihn aus der Reihe, als er
und seine Zellengenossen zum Speisesaal schlurften, um ihr
lauwarmes Frühstück einzunehmen.
Der bartstoppelige und humorlose Rittmeister tippte Eberly
mit dem Knüppel auf die Schulter und sagte: »Mir folgen.«
»Wieso ich? Was ist denn los?«, platzte Eberly ebenso
erstaunt wie erschrocken heraus.
Der Rittmeister hielt Eberly den Gummiknüppel unter die
Nase und befingerte den Spannungsregler. »In der Reihe wird
nicht gesprochen! Und nun folgen Sie mir.«
Die anderen Sträflinge marschierten schweigend weiter. Die
Köpfe hatten sie nach vorn gerichtet, doch ihre Blicke
wanderten heimlich zu Eberly und zum Rittmeister. Dann
schauten sie wieder nach vorn. Eberly wusste, wie der
Knüppel sich mit einer vollen Ladung anfühlte. Also senkte er
den Kopf und folgte dem Rittmeister fügsam aus dem
Speisesaal.
Der Rittmeister führte ihn in einen kleinen, mit Möbeln voll
gestellten Raum im Verwaltungstrakt, wo der
Gefängnisdirektor und andere Vollzugsbeamte ihre Büros
hatten. Der Raum hatte nur ein Fenster, das noch dazu fest
geschlossen und so schmutzig war, dass das Licht der
Morgensonne es kaum zu durchdringen vermochte. Ein
rechteckiger Tisch füllte fast den ganzen Raum aus; die
Tischplatte war verschrammt und matt. Zwei Männer in teuer
wirkenden Geschäftsanzügen saßen am Tisch, wobei die
Stühle fast an den kahlen grauen Wänden schrammten.
»Hinsetzen«, sagte der Rittmeister und wies mit dem
Knüppel auf den Stuhl am Fuß des Tisches. Eberly setzte sich
vorsichtig hin, wobei er sich fragte, was das alles wohl zu
bedeuten habe und ob er sein Frühstück verpassen würde. Der
Rittmeister trat hinaus auf den Flur und schloss leise die Tür.
»Sie sind Malone Eberly?«, fragte der Mann am Kopfende
des Tisches. Er war rundlich und hatte ein teigiges Gesicht mit
rosigen Wangen. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Eberly
mutete er wie ein Schwein an.
»Ja, der bin ich«, erwiderte Eberly. »Sir«, fügte er rasch
hinzu.
»Geboren als Max Erlenmeyer, wenn unsere Informationen
richtig sind«, sagte der Mann zur Rechten. Er machte einen
gediegenen Eindruck in seinem eleganten dunkelblauen
Anzug und mit dem glatten silbergrauen Haar. Eberly
vermochte ihn sich gut in einem zweireihigen Blazer und mit
einer Schiffermütze auf der Brücke einer Jacht vorzustellen.
»Ich hatte meinen Namen offiziell bei der Meldebehörde
ändern lassen, als…«
»Das ist eine Lüge«, sagte der im dunkelblauen Anzug so
beiläufig, als ob er um ein Glas Wasser ersucht hätte. Dem
Akzent nach zu urteilen war ein Engländer, befand Eberly.
Dieser Umstand mochte ihm vielleicht noch von Nutzen sein.
»Aber…«
»Das spielt aber auch keine Rolle«, sagte der andere. »Wenn
Sie Eberly genannt werden wollen, dann werden wir Sie eben
so nennen. In Ordnung?«
Eberly nickte konsterniert.
»Wie würde es ihnen wohl gefallen, aus dem Gefängnis
entlassen zu werden?«, fragte das Schweinsgesicht.
Eberly merkte, dass er große Augen machte. Doch er brachte
sich schnell wieder unter Kontrolle und fragte: »Was hätte ich
denn zu tun, um freigelassen zu werden?«
»Nicht viel«, sagte der Elegante. »Sie
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