Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
seinem Tonfall?
»Herr Legler«, fuhr Streiff fort, »es tut mir leid, Ihnen diese Frage stellen zu müssen, aber macht es für Sie Sinn, dass Ihre Frau eine angefangene Packung Kondome in der Handtasche hatte?«
Ein Telefon klingelte. Legler sah sich suchend um, entdeckte sein Handy auf einem Regal der Wohnwand und meldete sich. »Nein, lassen Sie mich in Ruhe«, schnauzte er den Anrufer an. Er warf das Handy hin. »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, wandte er sich an Streiff und ging hinaus. Streiff war schnell. Er griff sich das Handy und prägte sich die Nummer des letzten Anrufs ein.
Legler kam zurück, ein Glas Wasser in der Hand. Er schien sich ein wenig gefasst zu haben.
»Das mit den Kondomen ist unsere Privatsache«, erklärte er kurz angebunden. »Ich möchte jetzt wissen, was mit meiner Frau war. Warum ist sie umgebracht worden? Von wem? Wann? Das sind Fragen, um die Sie sich kümmern sollten.«
»Genau«, bestätigte Streiff. »Das alles wollen wir herausfinden. Deshalb müssen wir auch Ihnen Fragen stellen. Wissen Sie etwas über einen Barbetrag von 7000 Franken, den Ihre Frau kürzlich erhalten haben soll?«
Der Mann schaute ihn verständnislos an und schüttelte den Kopf.
Streiff erhob sich. »Wir werden später noch einmal kommen und uns die Sachen Ihrer Frau ansehen, vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis. Und ich muss Sie bitten, heute Ihre Frau zu identifizieren. Es ist nur eine Formsache. Sie liegt in der Rechtsmedizin. Ein Beamter wird Sie abholen und hinfahren.«
»Ja, ich möchte meine Frau sehen«, sagte Legler. »Ich möchte von ihr Abschied nehmen. Ich werde sie zu Grabe tragen müssen.«
Wieder dieses Pathos. Streiff verabschiedete sich. Er wurde nicht schlau aus dem Mann. Der Tod seiner Frau hatte ihn getroffen, zweifellos. Aber da schien noch etwas anderes zu sein.
Verdammt! Er starrte aus dem Fenster seines Büros. Ein Bus fuhr vorbei, zwei Kinder mit bunten Schultaschen am Rücken zogen vorüber. Er nahm sie nicht wahr. Aus dem Radio ertönte Musik, er hörte sie nicht. Verdammt. Hatte er vorhin wirklich richtig gehört? Er war am Arbeiten gewesen, das Radio lief, wie meistens, als angenehmes Hintergrundgeräusch, er hörte nur mit halbem Ohr hin. Fast hätte er die Nachricht überhört. Kantonsrätin Angela Legler tot. Umgebracht. Gestern Nacht. Das konnte doch nicht sein. Ein paar Minuten saß er regungslos da. Gedanken stürzten auf ihn ein und er war nicht imstande, sie zu ordnen. Er wählte hastig die Website des Radiosenders an. Tatsächlich, er hatte sich nicht verhört. Unter den Tagesnews stand es. Legler ermordet. Gestern spät abends oder nachts. Am Schanzengraben. Das heißt – er hatte doch irgendwann nach 22 Uhr mit ihr telefoniert und sie hatte gesagt, sie sei auf dem Heimweg. Ob niemand das Gespräch mithören könne, hatte er nervös gefragt. Und sie hatte ihn beruhigt. War sie da vielleicht schon am Schanzengraben gewesen? War sie kurz danach getötet worden? War das Gespräch etwa doch von jemandem mitgehört worden: vom Mörder? Er atmete tief durch, ihm war leicht übel. Was sollte er bloß tun? Konnte er überhaupt irgendetwas anderes tun als hoffen und beten? Die 7000 Franken würden wahrscheinlich gefunden werden, wenn sie sie nicht gleich auf ihr Konto eingezahlt hätte. Aber schlimmer war das Kärtchen, handschriftlich … Das war sehr dumm von ihm gewesen. Hoffentlich hatte sie es gleich weggeworfen. Wenn es rauskäme … Der Schweiß brach ihm aus. Er wäre erledigt, darüber machte er sich keine Illusionen. Einen Moment lang war sein Kopf völlig leer, dann rief er sich zur Ordnung. Er musste nachdenken und einen Weg finden zu handeln. Aus dem Radio erklang die muntere Stimme einer jungen Moderatorin, die eine Anekdote zum Besten gab und den nächsten Musiktitel ankündigte. Er schaltete das Radio aus. Sein Telefon klingelte. Er warf einen Blick auf das Display und hob nicht ab. Das konnte warten. Er musste jetzt alle Möglichkeiten durchdenken und eine Lösung finden. Wie war er bloß da hineingeraten? Es hatte so einfach ausgesehen. Ein kleines Risiko, sicher. Aber das hatte ihn auch gereizt. Er war ein bisschen ein Spieler und war bisher damit immer gut gefahren. Aber jetzt steckte der Karren im Dreck. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich heillos überfordert.
Im Büro notierte sich Streiff, was er bisher alles wusste. Das Opfer war eine im Kanton bekannte und umstrittene Politikerin, die sich links und rechts
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