Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
allen ein paar Fragen stellen. Sie können das kleine, leer stehende Büro neben der Teeküche benutzen.«
Als Erste saß Raffaela Zweifel Streiff gegenüber. Sie hielt den Kopf gesenkt. Ihre dunklen Haare fielen ihr ins Gesicht. Bevor Streiff ihr die erste Frage stellen konnte, holte sie tief Luft und begann: »Ich muss Ihnen etwas sagen. Ich wollte es erst für mich behalten, weil es mich nichts angeht, weil ich keine Schwierigkeiten wollte. Aber jetzt, wo es um Mord geht, wo Frau Legler tot ist …«
»Ja?«, fragte Streiff.
»Ich bin fast sicher, dass ich sie gesehen habe, am Montagabend. Sie trug die Tasche von Frau Kováts«, sagte sie dann schnell, wie, um es rasch hinter sich zu bringen.
»Ein bisschen genauer bitte«, mahnte Streiff. »Wen haben Sie gesehen, und wo?«
»Ja, es war so, ich ging kurz nach 22 Uhr über die Brücke beim Helmhaus und dann durch eine der Gassen in Richtung Paradeplatz. Da kam mir jemand entgegen, ziemlich rasch. Die Person trug Turnschuhe, dunkle Jeans, eine Jacke und eine Mütze.« Raffaela verstummte. Sie schien sich unbehaglich zu fühlen, schaute aus dem Fenster.
»Und weiter?«
»Ich dachte, komisch, das ist doch Frau Legler. Aber ich sah ihr Gesicht nur ganz kurz und sie wandte sofort den Kopf ab. Ich dachte, dass es keinen Sinn macht, dass ich mich getäuscht haben musste, und doch bin ich mir eigentlich sicher. Sie hatte eine Tasche bei sich. Als am nächsten Morgen Lina Kováts sagte, ihre Tasche sei ihr am Vorabend entrissen worden, kam mir in den Sinn, dass diese Gestalt in der Altstadt eine solche Tasche bei sich gehabt hatte. Sie ist grün und rechteckig, ziemlich ungewöhnlich.«
»Haben Sie das jemandem erzählt?«
»Nein, wo denken Sie hin? Soll ich mir Probleme einhandeln? Ich, die kleine Tippse, beschuldige doch keine Kantonsrätin, jemandem die Tasche geklaut zu haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Frau Legler hätte es mir heimgezahlt. Sie konnte mich eh nicht ausstehen.«
»Und umgekehrt?«
»Natürlich auch nicht. Ich wusste ja etwas von ihr«, erklärte Raffaela herausfordernd, »nämlich dass sie vor ein paar Jahren ein gestohlenes Rad gekauft hatte.«
»Ja«, meinte Streiff trocken, »und sie wusste, dass Sie es ihr verkauft hatten.«
Raffaela wurde rot. »Jedenfalls habe ich mit niemandem darüber gesprochen«, versicherte sie. Sie wirkte nervös.
»Auch mit Frau Legler nicht?«, fiel Streiff ein.
»Bestimmt nicht. Ich hatte ja keinen Beweis, dass sie es wirklich gewesen war.«
»Aber Sie sind sich sicher?«
Raffaela nickte. »Aber nicht, dass Sie mir jetzt was anhängen von wegen übler Nachrede oder so. Ich kann keine Schwierigkeiten gebrauchen, ich bin auf diesen Job angewiesen. Übrigens konnte Frau Legler nicht nur mich nicht ausstehen. Mit Carlo Freuler hatte sie auch dauernd Krach.«
»Worum gings da?«
»Sie hat ihn für seine Arbeit kritisiert und das hat ihn zur Weißglut getrieben. Erst gestern Abend …« Sie brach ab.
Streiff schaute sie fragend an.
»Sie hatten einen Riesenkrach. Beide haben herumgebrüllt und Carlo hat einen Duden auf den Boden geschmettert.«
»Sie waren dabei?«
»Die haben gar nicht auf mich geachtet. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, ich wolle Carlo etwas anhängen. Ich habe den Duden nachher zurückgestellt.«
Streiff beruhigte sie. »Wie war Frau Legler denn gestern angezogen?«
Raffaela überlegte kurz. »Sie trug ein Kostüm. Irgendetwas Dunkelgrünes. Der Rock etwas zu lang, die Schultern zu breit für ihre Größe. Sie konnte sich nicht anziehen«, fügte sie geringschätzig hinzu. »Genug Geld, um sich gute Sachen zu kaufen, aber kein Geschmack.«
Streiff sah ihr nach, wie sie zur Tür ging, gekonnt auf hohen Absätzen balancierend. Er erinnerte sich an die Sache vor vier Jahren. Damals hatte sie für einen Freund auf dem Flohmarkt Hehlerware verkauft. Vermutlich fiel sie auch heute noch auf die falschen Männer herein. Sie machte auf ihn wie damals den Eindruck einer etwas haltlosen, leicht beeinflussbaren jungen Frau. Und doch hatte sie sich jetzt aufs Glatteis gewagt und ihm ihre Beobachtung mitgeteilt. Falls es stimmte. Flohmarkt?
»Einen Moment, Frau Zweifel.«
Raffaela drehte sich um.
»Haben Sie noch Kontakt zu Bruno Trümpy? Wissen Sie, was er macht?«
»Nein«, wehrte sich die junge Frau, gleich alarmiert. »Was hat denn das damit zu tun? Das ist doch ewig her.«
»Reine Routinefrage«, lächelte Streiff. »Sie können gehen.«
Das musste ja eine eigenartige
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