Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
Gegner geschaffen hatte. Man musste weiter in Richtung der Opposition gegen die Flohmarktschließung ermitteln. Aus diesem Lager waren immerhin ein Steinwurf und ein anonymer Drohbrief gekommen. Der Drohbrief war bereits auf Spuren untersucht worden, er enthielt keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren. Das bedeutete, dass der Schreiber mit Umsicht zu Werke gegangen war. Vielleicht, weil seine Fingerabdrücke schon registriert waren? Gut möglich, dass es sich um einen Flohmarkthändler handelte. Er würde sich die Liste geben lassen. Ob wohl dieser, wie hatte er doch gleich geheißen, Bruno Trümpy, der vor vier Jahren geklaute Ware feilgeboten hatte, wieder auf dem Flohmarkt mitmischte? Eine Standbewilligung hatte er natürlich nicht mehr, aber so etwas ließ sich auch intern regeln. Dürst war offenbar in Sachen Pullover des Steinwerfers unterwegs. Das konnte er jetzt, wo es um ein Tötungsdelikt ging, nicht mehr allein ihm überlassen. Und er würde sich mit Lina Kováts über die Geschichte mit den 7000 Franken und dem Dankesbrief unterhalten. Zu dumm, dass davon nur eine aufgebrochene Schreibtischschublade zeugte. Vielleicht konnte sie sich noch an irgendwelche Details erinnern.
Auch Fritz Legler würde er nochmals befragen. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung hatte sich nämlich herausgestellt, dass Angela Legler eine Spirale hatte. Dann brauchte sie wohl nicht noch Kondome. Und wenn, dann lägen sie eher in der Nachttischschublade als in der Handtasche. Interessant war unter Umständen auch der Inhaber der Handynummer, der Legler morgens nach 8 Uhr angerufen hatte. Es war Mario Bianchera, Kommissionssekretär der Parlamentsdienste. Vielleicht hatte er Angela Legler gesucht und nicht erreichen können. Aber warum hatte der Ehemann auf seinen Anruf so aggressiv reagiert?
Das Mordmotiv musste nicht unbedingt mit Angela Leglers Funktion als Politikerin zusammenhängen. Auch Politikerinnen hatten ein Privatleben, ein Berufsleben. Nicht auszuschließen war auch, dass sie ein zufälliges Opfer war, ausgeraubt werden sollte. Der Täter war vielleicht gestört worden und abgehauen, bevor er sich über ihre Handtasche hermachen konnte.
Streiff beschloss, zuerst ins Kaspar-Escher-Haus zu fahren, um die Angestellten zu befragen, und seinen jungen Mitarbeiter, Melchior Zwicky, zu Legler zu schicken, um das Zimmer des Opfers zu durchsuchen. Wenn er nichts fand, würde er, Streiff, nachmittags selbst nochmals hinfahren; auf Zwicky war kein Verlass. Zu dumm, wirklich ungünstig, dass Elmer ausfiel.
Lina kam an diesem Vormittag als Letzte ins Büro. Niemand war am Arbeiten. »Hast dus schon gehört?«, rief ihr Raffaela zu.
»Was«, fragte Lina zurück. »Ist wieder eine Schublade aufgestemmt worden?«
»Angela Legler ist tot.«
»Wie?« Lina begriff erst mal gar nichts. Automatisch drückte sie den Startknopf ihres Computers.
»Finito«, erklärte Carlo. »Die Dame hat ein Messer in den Rücken gekriegt.«
»Umgebracht?«, fragte Lina ungläubig zurück.
Esther Jenny hatte das Team vor ein paar Minuten informiert. Gleich würde ein Kriminalbeamter kommen, um sie alle zu befragen. Alle waren durcheinander, Raffaela aufgeregt, Carlo sarkastisch, Mario niedergeschlagen. Lina wusste nicht, wo ihr der Kopf stand.
»Ich hätte auch schon Lust gehabt, ihr eins über den Schädel zu ziehen«, bemerkte Carlo. »Und wie ist es mit dir, Raffaela? Zu dir war sie auch ganz schön eklig.«
»Hör auf«, wehrte Raffaela ab, »du bist geschmacklos.«
»Warum, jemand muss es ja gewesen sein.«
»Carlo, du bist unerträglich«, schaltete sich Mario ein. »Ich kann deine Sprüche nicht hören. Eine Frau, die wir alle gekannt haben, ist getötet worden. Dein Sarkasmus ist daneben. Sie konnte forsch sein, das stimmt, aber sie stand auch ständig unter Druck und sie war nicht feige. Sie hat engagierte Politik gemacht.«
»Ja, eine Politik der verbrannten Erde«, gab Carlo, allerdings leise, zurück.
»Was ist denn überhaupt genau geschehen?«, wollte Lina wissen. Die anderen sagten ihr, was sie von Esther Jenny erfahren hatten.
»Am Schanzengraben? Wie kam sie denn dorthin?«
»Sie ist oft ein großes Stück zu Fuß nach Hause gegangen«, erklärte Mario.
»Woher willst du denn das wissen?«, fragte Carlo. »Warst du ihr Bodyguard?«
Mario zuckte nur müde die Schultern. »Man konnte sich mit ihr auch ganz normal unterhalten, weißt du.«
Nun betrat Esther Jenny in Begleitung von Streiff das Büro. »Herr Streiff wird
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