Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
hatte sie ihn durchfahren und sie waren über dem Hochnebel. Hier schien die Sonne, fast schockierend gelb war sie, der Himmel fast übertrieben blau, nur der Boden erinnerte daran, dass es November war, er war mattgrünbräunlich; weder grün wie im Sommer noch weiß wie im Winter. Unter ihnen lag das Nebelmeer, aus dem Berggipfel ragten, darunter eine versunkene Welt. Die beiden Urner nickten zufrieden, die Frau rief: »Wie schön«, und Streiff musste sich erst einen Moment daran gewöhnen. Sie stiegen aus, die anderen wandten sich nach links. Die beiden Männer stiegen in ihrem bedächtigen Berglerschritt den Weg hinauf, die Frau ließ den Hund von der Leine.
Streiff ging nach rechts ins Restaurant und bestellte einen Kaffee. Er zeigte seinen Dienstausweis und fragte nach Leglers Chalet. Die Polizei sei doch kürzlich schon da gewesen, meinte die Wirtin, eine jüngere Frau in Jeans und einem mit kleinen Kühen und Alpenblumen bestickten Hemd. Ja, sie habe Legler am letzten Mittwochabend im Laden dies und jenes verkauft. Da habe sie noch nicht gewusst, dass seine Frau tot war. Umgebracht. Sie schauderte. Ob man schon wisse, wer es gewesen sei. Aha ja, natürlich nicht. Sonst wäre er jetzt wohl nicht hier. Was für einen Eindruck ihr Legler gemacht habe? Schon anders als sonst. Normalerweise sei er gesprächig, er sei ja ein gut aussehender Mann, groß, braun gebrannt, mit einer tiefen Stimme. Und er habe auffallende Augen, so einen Blick, wissen Sie, der in einen hineinschauen kann, irgendwie durchdringend. Aber an dem Mittwoch sei er schweigsam gewesen, sie habe sich noch gefragt, was dem über die Leber gekrochen sei, aber gesagt habe sie natürlich nichts. Nein, Bibelsprüche habe sie eigentlich nie von ihm gehört, aber von Gott habe er schon geredet, er sei ja Pfarrer gewesen; von Gott, der diese herrliche Landschaft geschaffen habe, habe er geredet. Dass man dankbar sein müsse. Da habe er recht gehabt, das sehe sie auch so. Die Wirtin beschrieb Streiff den Weg zum Chalet, einfach den Weg hinauf, dann bei einer kleinen, schiefen Tanne scharf links, die paar Chalets seien nicht zu übersehen. Das von Legler sei das dritte von links. Eine gute Viertelstunde sei es zu Fuß, sie musterte Streiffs Schuhe. Die Mountainbiker seien natürlich schneller. An schönen Tagen kämen sie fast scharenweise, die meisten mit der Luftseilbahn, die sportlichsten aber sogar von unten herauf. Dann fuhren sie hinauf zum Fläschseeli, zur Hüenderegg und weiter, über das Biel bis auf den Klausenpass und über den Urnerboden bis hinunter nach Linthal. Eine schöne Tour, übrigens auch zu Fuß. Aber eben, er sei ja nicht zum Wandern gekommen, er sei im Dienst. Es war ihr anzumerken, dass sie gern erfahren hätte, was er denn genau vorhatte. Die Leglers seien auch sehr sportlich gewesen, kam sie auf das ursprüngliche Thema zurück, aber Streiff ging nicht darauf ein.
Er bezahlte und machte sich auf den Weg. Plötzlich fühlte er sich gut. Eine Spannung ergriff ihn, aber nicht unangenehm, jetzt war er der Fahnder auf der Spur eines Verdächtigen. Sie würde ihn irgendwohin führen, er war sicher, dass er etwas erfahren würde, was ihm weiterhalf. Wieder schob sich der Gedanke an Valerie dazwischen. Aber nicht mehr bedrückend, nicht mehr sein Schuldbewusstsein stand im Vordergrund. Du hast Mist gebaut, Streiff, dachte er, das hast du wiedergutzumachen. Ich werde sie zurückerobern, dachte er, und der Gedanke gefiel ihm. Wie sollte er es am besten anstellen? Rote Rosen? Schmuck? Eine Einladung zu einem Wochenende in Mailand? Alles miteinander? Er würde nicht nur als reuiger Sünder vor sie treten, sondern ihr zeigen, dass er sie liebte. Es würde ihm nicht schwerfallen, sich dafür ins Zeug zu legen. Er kannte sie, das würde sie nicht unberührt lassen. Es gefiel ihr, verwöhnt zu werden. Streiff sah sich um. Die kleine moderne Kirche hatte er bereits hinter sich gelassen. Er ging an einigen Ferienhäuschen vorbei durch ein kurzes Waldstück, dann machte der Weg eine scharfe Biegung nach rechts und führte dem Hang entlang sanft nach oben. Rechts lag ein Bauernhof. Ein Hund kam bellend hervorgeschossen, um den Eindringling zu vertreiben. Streiff versuchte, ihn nicht zu beachten, aber der Hund war von der hartnäckigeren Sorte. Er stellte sich Streiff in den Weg und knurrte. Unten ging der Bauer über den Hof.
»Rufen Sie Ihren Hund zurück!«, rief Streiff ärgerlich. »Das hier ist ein öffentlicher Weg.«
Der Bauer kam
Weitere Kostenlose Bücher