Sau tot
Taschentuch. Schließlich kam ihr Ina zur Hilfe, die eins aus ihrer Handtasche fischte.
»Gesehen – ist das wichtig?«
»Natürlich ist das wichtig«, Inas Tonfall war nicht sehr gefühlvoll.
»Am Sonntag. Sonntag vor einer Woche, meine ich.«
»In der Jagdhütte?«
Britta Hauffenberg guckte bestürzt. »Sie wissen also, daß wir uns immer dort -?« Dann blickte sie nach unten. »Ja, in der Jagdhütte.«
»Seit wann haben Sie eine Beziehung mit Richard Waltermann?«
Britta schaute immer noch nach unten. »Seit etwa einem halben Jahr«, sagte sie schließlich. »Ich habe damals an meiner Doktorarbeit geschrieben. Über ein ungewöhnliches Thema: Jagdbrauchtum in Südwestfalen. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Akzeptanz oder auch Nicht-Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang bin ich auf Richard Waltermann gestoßen.«
»Warum denn das?« Max begriff noch nicht richtig.
»Ein mir befreundeter Jäger hatte mir eine Begebenheit erzählt, die mein Thema berührte. Richard hat vor ein paar Jahren in seinem Revier einen wildernden Hund erschossen, und die Besitzerin hat ihn danach eine ganze Weile drangsaliert. Ich fand die Sache interessant, neben meinen Untersuchungen zu organisierter Jagdgegnerschaft in der Region. Deshalb habe ich Richard Waltermann in der Angelegenheit aufgesucht. Er hat mich spontan zum Essen eingeladen, und ich muß sagen, ich war sofort fasziniert.« Britta zögerte verlegen. »Wissen Sie, Richard und ich, wir fühlten uns auf geheimnisvolle Weise zueinander hingezogen.«
Max war mit seinen Gedanken plötzlich woanders. Ein Puzzlestück schob sich ins andere. Rüdiger Abel, der bekehrte Hochsitzaktivist, hatte von einer Frau gesprochen, die sich für das Thema Jagdgegnerschaft interessiert hatte. Das mußte Britta Hauffenberg gewesen sein.
»Wir waren ein gutes halbes Jahr zusammen«, die junge Frau fing plötzlich wieder an zu schluchzen. »Trotzdem habe ich immer wieder versucht, mit Richard Schluß zu machen. Das Ganze hatte ja keine Zukunft. Natürlich ist mir das schon lange bewußt. Allerdings ist dann vor einer guten Woche etwas ganz Furchtbares passiert.« Ina und Max schauten sich einen Moment lang an. »Es war an diesem besagten Sonntag, als wir uns zuletzt gesehen haben. Wir hatten uns wie immer in der Jagdhütte getroffen, und plötzlich war da ein Kopf am Fenster. Stellen Sie sich vor – Sebastian, Richards Sohn. Er muß uns eine Weile durch das Fenster hindurch beobachtet haben.« Britta Hauffenberg schluchzte laut heraus. »Was meinen Sie, wie der Junge sich gefühlt haben muß!«
Max hatte plötzlich ein Gesicht vor Augen. Das Gesicht eines Vierzehnjährigen, für den in kurzer Zeit alle Sicherheiten zusammengebrochen sein mußten. Ein Scherbenhaufen, den man am besten abfackeln ließ.
»Ich weiß selbst, daß das alles unverzeihlich ist. Aber Richard und ich – ich kann es nicht erklären -«
»Was ist an dem Sonntag weiter passiert?«
»Nichts weiter. Richard ist seinem Sohn natürlich hintergelaufen. Aber der war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.«
»Hat er später mit ihm gesprochen?«
»Ich fürchte, nein. Aber genau kann ich das leider nicht sagen. Mir selbst ist an diesem Sonntag klar geworden, daß es so nicht weitergehen konnte. Ich bin unmittelbar danach nach Göttingen aufgebrochen, und ich habe Richard gesagt, daß wir uns zumindest eine Weile nicht sehen sollten. Allein schon, weil ich einen klaren Kopf für mein letzte Prüfung brauchte.«
»Wie hat Waltermann darauf reagiert?«
Britta zögerte einen Augenblick, bevor sie etwas erwiderte. »Er war durch die Sache mit seinem Sohn natürlich selbst von der Rolle. Er hatte ja keine Ahnung, was ihn jetzt zu Hause erwarten würde. Trotzdem hat mein Abschied Richard getroffen, ganz klar. Er hat gefragt, ob es einen Unterschied macht, wenn er sich von seiner Familie trennt.«
»Was haben Sie geantwortet?«
»Ich habe nein gesagt. Ich wollte das nicht. Mit dieser Bürde hätte ich nicht leben wollen. Außerdem war mir klar, daß unsere Beziehung nicht langzeittauglich war. Richard war über zwanzig Jahre älter als ich. Gut, in der Koje einer Jagdhütte macht das nichts aus, aber im wirklichen Leben, wo Freunde und Bekannte eine Rolle spielen, da ist das ein Problem. Richard hatte ganz andere Ansichten«, Britta Hauffenberg zögerte einen Augenblick, »er hätte mit keiner meiner Freundinnen etwas anfangen können – und umgekehrt genauso. Er lebte in einer anderen Welt.
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