Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
missmutigen Tonfall sagen würde: »Aktionen Einzelner haben keinen Sinn – wir müssen uns gegen die Menschen zusammenschließen, eine konzertierte Aktion, überall auf der Welt. Nur so können wir die menschlichen Aggressoren besiegen.« Nachdem er etwas in der Art gesagt hatte, legte er sich meistens hin und schlief mit grimmiger Miene ein.
Als der Mond aus dem kaputten Fenster verschwunden war und nur noch durch die offene Tür ein silbriger Lichtstrahl fiel, erhob sich Kim und schritt vorsichtig hinaus. Von den anderen rührte sich keiner, obschon sie sicher war, dass das eine oder andere Auge sie verfolgte. Zumindest Doktor Pik hatte einen leichten Schlaf, er würde wissen, was sie vorhatte.
Auf den wenigen Grasbüscheln auf der Wiese hatten sich Tautropfen gesammelt, die Kim dankbar aufleckte. Entschlossen trabte sie zu dem Loch im Zaun hinüber. Der Mond würde bald verschwinden. Die ersten Sonnenstrahlen krochen bereits über den Horizont.
Bevor sie sich dem Loch näherte, lauschte sie. War da etwas? Die Schritte eines Menschen, der auf sie gewartet hatte und nun sein Messer wetzte? Oder lag da ein gefährliches Tier auf der Lauer?
Nein, es war totenstill. Das Haus war dunkel, selbst in dem Wald regten sich nur die ersten Vögel.
Sie setzte zunächst einen Huf vor, dann den anderen. Lunkes Borsten hingen immer noch an den Metallstacheln im Zaun, aber sie rochen nicht mehr nach ihm, sondern nach Sonne und Wind.
Es war wirklich einfach, sie musste sich nur ein wenig ducken und aufpassen, dass sie nicht in eine der scharfen Stacheln trat, dann war sie durch – auf der anderen Seite, in Freiheit.
Hier war sie noch nie gewesen, aber es roch nicht unbedingt anders. Trotzdem – es war ihr erster Schritt aus der Gefangenschaft, etwas ganz Besonderes für jemanden, der eigentlich nur den Stall, den Hof und einen stickigen Schweinetransporter kannte. Sie versuchte sich diesen großen, bedeutsamen Schritt in möglichst vielen Einzelheiten zu merken, aber plötzlich hörte sie ein Geräusch und dann eine tiefe Stimme: »Dachte schon, du kommst nicht mehr.«
Lunke schob seinen Kopf aus dem Gebüsch, in dem er gesessen hatte, und grinste. Er sieht verändert aus, dachte Kim, nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte. Was war es bloß?
Sie musterte ihn, ohne ein Wort zu sagen. Dann fiel es ihr auf. Sein linker Eckzahn – da fehlte ein Stück.
»Was ist?«, fragte Lunke leicht ungeduldig und schüttelte sich, als wäre ihr Blick ihm unbehaglich. »Hatten wir nicht was vor?«
»Was ist mit deinem Zahn passiert?«, fragte sie ein wenig zu laut. Ihre Stimme hallte von den Bäumen wider.
»Kleine Auseinandersetzung mit den anderen«, erwiderte Lunke. »Nicht der Rede wert. Ich glaube, wir müssen los.« Damit drehte er sich um und marschierte in den Wald hinein.
Kim hatte Mühe, ihm zu folgen. Er schaute sich auch nicht nach ihr um. Anfangs liefen sie auf einem schmalen Pfad, dann schlug Lunke sich unvermittelt in die Büsche. Irgendetwas wäre Kim beinahe über die Hufe gekrochen; im letzten Moment konnte sie stehen bleiben und ein erschrecktes Quieken unterdrücken. Da war eine winzige Kreatur mit einem riesigen Schwanz gewesen.
Lunke lief immer voraus. Erst als sie auf einen breiten Weg gerieten und ein hellblauer Himmel durch die dichten Bäume schimmerte, blieb er stehen und blickte Kim an.
»Wir sollten den anderen nicht über den Weg laufen«, erklärte er flüsternd. »Könnte Missverständnisse geben.«
»Den anderen?« Kim verstand ihn nicht.
Lunke deutete vor sich.
Da, auf einer Wiese, waren fünf oder sechs Schwarze, die sie aber nicht beachteten.
»Habe zurzeit ein wenig Ärger mit ihnen, weil ich ihnen zu eigensinnig bin«, sagte Lunke. Im nächsten Moment lief er weiter und bog in eine andere Richtung ab.
Kim spürte, dass sie immer aufgeregter wurde. Die Freiheit war verwirrend, so viel stand fest. Von allen Seiten drangen seltsame Geräusche und Gerüche auf sie ein, die sie nicht kannte. Und so viel und so schnell gelaufen war sie auch noch nie.
Die meisten Tiere schienen Lunke aus dem Weg zu gehen. Nur einmal sprang ein großes, bräunliches Wesen über den Weg vor ihnen und verschwand sofort wieder im Dickicht.
Als sie zu einer breiten, gepflasterten Straße kamen, hielt Lunke abermals inne.
Kim war froh, sie war ganz außer Atem. Ihr Herz schlug hart und laut. Sie hatte nie gedacht, dass die Freiheit dermaßen groß war und man anscheinend ohne Ende darin
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