Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
die sie in der Tür im Stall gesehen hatte, aber leider verband sich mit ihr kein Geruch und kein richtiges Bild.
Lunke versuchte die Führung zu übernehmen. Nach einer leichten Biegung hörte Kim das typische Motorengeräusch, das ihr, seit sie von dem Transporter gefallen war, immer einen Schrecken einjagte.
»Dort ist die Straße«, erklärte Lunke in dem festen Tonfall, der klarstellen sollte, dass er hier das Sagen hatte.
Kim legte den Stiefel kurz ab, um durchzuatmen.
Als sie nichts erwiderte, wurde Lunke gleich wieder unruhig. »Und?«, fragte er und musterte sie mürrisch. »Was willst du jetzt tun?«
Wir hätten noch kurz bei dem See haltmachen sollen, dachte Kim. Nun war ihr doch ein wenig mulmig zumute, und sie hatte einen unbändigen Durst.
»Ich stelle mich auf die Straße mit dem Stiefel in der Schnauze und warte, dass jemand anhält«, sagte sie, aber noch während sie sprach, kam ihr selbst dieser Plan nicht richtig durchdacht vor.
»Bist du verrückt!«, brüllte Lunke. »Kein Mensch wird anhalten – sie werden dich überfahren! Das wird passieren!«
»Hast du eine andere Idee?«, fragte Kim.
»Ja, klar, wir vergessen, dass wir hier gewesen sind und den toten Menschen gesehen haben, und laufen zurück zum See, um ein Schläfchen zu halten. Dann suchen wir uns etwas zu fressen und suhlen uns im Morast – oder umgekehrt, erst suhlen, dann fressen.« Auffordernd blickte Lunke sie an.
Kim fiel auf, dass sie sich schon an seine Anwesenheit gewöhnt hatte. Wieso nannten ihn die anderen einen Halunken? Er war groß und stark, aber irgendwie war er auch nett.
»Alles klar«, sagte sie und lächelte ihn süßlich an. »So machen wir es bestimmt nicht.« Dann beugte sie sich vor, nahm den Stiefel wieder auf und trabte in Richtung Straße.
»Verdammt!«, rief Lunke. »Sei nicht so stur! Du bist nur ein kleines Hausschwein.«
Einen Moment lang war sie überzeugt, dass er abhauen würde, doch einen Atemzug später tauchte er neben ihr auf.
Vorsichtig schoben sie sich durch das Gebüsch auf den schmalen, mit Gras bewachsenen Randstreifen der grauen Asphaltstraße. Ein Lastwagen raste vorbei, der ein wenig Ähnlichkeit mit dem Transporter hatte, mit dem sie verunglückt war. Der Wind, den das Metallmonstrum hinter sich her zog, hätte sie beinahe umgeworfen. Auf so einen Wagen würde sie nie wieder klettern, schwor sie sich, eher würde sie sterben – oder mit Lunke davonlaufen.
Sie postierten sich an den Straßenrand und starrten den Autos entgegen, die auf sie zurasten.
Ein guter Einfall ist das wirklich nicht, dachte Kim. Was für ein merkwürdiges Bild sie abgeben mussten: Ein schwarzes und ein weißes Schwein, das einen Stiefel im Maul hatte, guckten Menschen in ihren Blechautos an.
Ein Bus kam und wurde langsamer. Kim sah lachende und kreischende Kinder an den Fenstern, die mit Fingern auf sie zeigten. Der Bus hielt jedoch nicht an, sondern beschleunigte wieder. Mit so vielen Kindern hätten sie auch nichts anfangen können. Einmal hatte Dörthe ein paar Kinder in den Stall geholt. Sie hatten die ganze Zeit gekichert und versucht, Cecile am Schwanz zu ziehen.
Ein Mann verlor die Gewalt über sein Gefährt, ein rotes, kugeliges Vehikel, als er sie erblickte. Mit offenem Mund stierte er sie hinter seiner Windschutzscheibe an. Sein Wagen kam ins Schlingern, geriet auf die andere Seite und wäre beinahe in den Graben gerutscht. Im letzten Moment riss der Mann das Lenkrad herum. Aber auch er stoppte nicht, sondern gab wieder Gas.
Dann trat eine Weile Stille ein. Kein Wagen näherte sich. Hatten die Menschen etwa schon alle mitbekommen, dass da zwei Schweine saßen, und mieden diese Straße nun?
»Das ist das Verrückteste, was ich jemals getan habe«, sagte Lunke vor sich hin. »Da hocke ich hier und warte darauf, dass ich überfahren werde.«
»Was hast du denn sonst schon für verrückte Dinge getan?«, fragte Kim.
»Einmal habe ich versucht, einem Hofhund, der das ganze Maul voller scharfer Zähne hatte, sein Fressen zu klauen«, erwiderte Lunke sinnend. »Dann habe ich in der Nacht einen Blecheimer umgeworfen, um Müll zu durchwühlen – mitten auf der Dorfstraße. Und dann habe ich mich in ein kleines rosiges Hausschwein …« Plötzlich verstummte er.
»Was hast du?«, fragte Kim nach. Der Stiefel schmeckte immer ekliger, am liebsten hätte sie ihn ausgespuckt.
»Ach nichts«, erwiderte Lunke. »Ich bin ein wilder Schwarzer, dem der Wald gehört – ich habe es nicht nötig, hier
Weitere Kostenlose Bücher