Sauberer Abgang
einen Moment hatte er traurig ausgesehen.
»Was dachtest du?« Sie hatte zurückgelächelt.
»Daß du …« Er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
Männer. Meister der Kommunikation.
»Daß ich dich nicht wiedersehen wollte? So ein Unsinn.«
Sie hatten einander umfaßt, während sie zum Parkhaus gingen. Plötzlich war er wieder ganz nah gewesen. Man verstehe die Männer.
Oder die Frauen.
Die Beerdigung von Thomas Czernowitz fand unter einem unpassend blauen Himmel statt. Karen hatte sich die Trauerreden erspart und wartete vor der Totenhalle, bis der Sarg hinausgetragen wurde, dahinter schritt die trauernde Witwe. Eveline hatte sich gekleidet wie Jacqueline Kennedy bei der Beerdigung des amerikanischen Präsidenten, sogar einen entzückenden kleinen Schleier hatte sie angelegt und ein Spitzentüchlein vor den Mund gepreßt.
Karen folgte dem Trauerzug den Lebensbaumweg entlang. Das Laub der Birken leuchtete und schimmerte, aber die Luft roch nach welkenden Blumen, Weihrauch und feuchter Erde und nicht nach Frühling. Linker Hand lag das Grabmal der Hedwig Babel (1919–2001). »Schaffen und Streben war ihre Zierde im Leben« stand auf dem imposanten Stein. Paßt, dachte Karen. Und offenbar wird man sogar alt dabei. Aber der Gedanke, daß sich der Sinn des Lebens darin erschöpfen könnte, war nicht eben erheiternd.
Thomas Czernowitz’ letzte Ruhestätte lag am Ende des Verlängerten Gruftenwegs. Als sie dort ankam, stand Eveline mit umflortem Blick neben dem offenen Grab und nahm die Parade ab. Karen mußte sich überwinden, der Frau ein »Herzliches Beileid« zuzumurmeln, aber die ganze Abteilung war zum Kondolieren angetreten, und es wäre aufgefallen, wenn sie sich entzogen hätte.
Zacharias hatte einen pompösen Kranz bestellen lassen mit einer dunkelroten Schleife, auf der »Um ihren geschätzten Kollegen trauern …« stand, darunter die Namen aller aus der Abteilung. Der von Zacharias war ein bißchen größer geschrieben als die der anderen.
Karen warf das Sträußchen Vergißmeinnicht, das sie noch schnell gekauft hatte, auf den Sarg und ließ beherzt drei Schaufeln Sand folgen. Thomas tat ihr leid. Er hatte ein anderes Leben verdient. Einen anderen Tod. Eine andere Frau.
Sie hörte den Sand auf den Sarg prallen und blickte dem Geräusch hinterher. Ihr stockte der Atem. Unten in der Grube stand ein pompöser Kasten aus Mahagoni, mit einer Art Leopardenfellimitation verziert. Eveline bewies wie immer keinen Geschmack – aber sie hatte wenigstens keine Kosten gescheut.
Und warum auch nicht? Thomas hatte sie schließlich auch mit seinem Tod noch reich beschenkt. Karen ersparte sich einen bösen Blick auf die dekorativ trauernde Witwe, ging hinüber zur Wegkreuzung und wartete auf Manfred Wenzel, der zu spät gekommen war und jetzt am Ende der Schlange stand.
Czerno hatte mehr Freunde gehabt, als sie ihm zugetraut hätte. Aber vielleicht waren gar nicht alle, die hier standen, seine Freunde. Es gibt Menschen, die zu jeder Beerdigung gehen. Und es gibt Menschen, die bevorzugt zu Beerdigungen gehen, wenn im Sarg das prominente Opfer einer Gewalttat liegt. Zum Beispiel Journalisten, dachte sie verächtlich, als hinter ihr eine nur allzu vertraute Stimme ertönte.
»Sehen Sie, da hinten, den Dicken? Was, meinen Sie, macht unser Lieblingsspekulant Julius Wechsler auf der Beerdigung eines anständigen Staatsanwalts?«
»Würden Sie bitte Ihre Pfote von meiner Schulter nehmen, Herr Keller?« Sie schüttelte seine feuchtwarme Pranke ab.
»Ein anständiger Staatsanwalt, der mit einem Banker befreundet war, der es mit seinem Job nicht so genau nahm, bevor er ebenfalls das Zeitliche segnete?«
»Herr Keller, Sie sagen mir nichts Neues.«
»Und da hinten, sehen Sie den? Auch ein Freund von Thomas Czernowitz.«
Max Winter. Der Besitzer vom »Gattopardo«. Dort hatte sie sich mit Gunter getroffen, damals, bei ihrem ersten Date. Sie spürte eine ebenso plötzliche wie heftige Sehnsucht nach einer Berührung. In diesem Moment vibrierte ihr Mobiltelefon. Sie nahm es aus der Jackentasche. Eine SMS. »Miss you, chéri.« Von Gunter.
»Verliebt, gnädige Frau?« flüsterte Keller. Sie drehte sich um. Er grinste sie an.
»Ich betrachte unser Gespräch als beendet«, sagte sie und versuchte, hoheitsvoll davonzuschreiten.
Auf dem Weg zurück ins Büro tippte sie ein »Wish you were here« in ihr Handy. Es gab nur zwei Sorten von Menschen ihres Alters, die mit einer derartigen Schnelligkeit
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