Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
im Freien und atme diese ganzen großartigen Phytonzide ein. Ich bekomme gerade so viel Sonnenstrahlung ab, dass meine Vitamin-D-Produktion angekurbelt wird. Ich schaue mir ein Baseballspiel an und senke auf diese Weise meinen Blutdruck.
Zuvor habe ich ein bisschen was für meine Fitness getan und an einer Wurfbude in der Nähe des Stadions ein paar Bälle geworfen. Per Radar wird dort gemessen, welche Geschwindigkeit der Ball erreicht.
Die ganze Familie wollte das einmal ausprobieren. Als Zane an der Reihe war, funktionierte das Radar nicht richtig. Es zeigte für seinen Ball 151 Stundenkilometer an. »He, sieh zu, dass du den Kleinen bei den Mets unter Vertrag bringst!«, sagte der Typ, der die Bude betreibt.
Und gerade jetzt bin ich mit unserem Baseball-Wunderkind auf dem Rückweg zu unseren Plätzen, seine Hand liegt in meiner und lässt meinen Pegel des Stresshormons Cortisol sinken. Zanes Hand ist klebrig, denn er ist gerade mit der einen Leckerei beschäftigt, die wir ihm pro Tag erlauben. Heute ist es blaue Zuckerwatte.
»Möchtest du mal probieren, Papa?«, fragt er. Er hält sie hoch, damit ich sie anschauen kann, ein glänzendes Stäbchen voll gesponnenen Zuckers.
Ich zögere. Ja. Ich möchte mal probieren. Einen kleinen Bissen.
EPILOG
An einem Freitagnachmittag im September, ein paar Monate nach Projektende, arbeitete ich gerade am Laufbandschreibtisch an der Schlussfassung meines Manuskripts, als mein Vater mich auf dem Handy anrief. Meine Tante Marti war aus heiterem Himmel ohnmächtig geworden.
Das versetzte weder mich noch Marti allzu sehr in Sorge. Wahrscheinlich hatte sie sich zu unausgewogen ernährt: zu viele Paranüsse und zu wenig Hanfsamen. Oder umgekehrt. Jedenfalls war ich mir sicher, dass sie schnell wieder auf den Beinen sein und in alter Frische gegen Fracking und Großmästereien wettern würde.
Doch Marti gab schließlich dem Drängen ihres ganzheitlich orientierten Arztes nach und vereinbarte auch einen Termin bei einem ganz normalen, Spezialuntersuchungenanordnendenpharmaproduktever-schreibenden Schulmediziner.
Zwei Tage später war das Ergebnis da. Ich hatte unrecht. Es hatte nicht an zu wenig Hanfsamen gelegen. Es war Krebs. Akute myeloische Leukämie – ein besonders bösartiger Krebs, der das Knochenmark dazu bringt, so viele weiße Blutkörperchen zu produzieren, dass sie im Körper eine Katastrophe auslösen.
Marti glaubte nicht an Gott. Wenn sie überhaupt an etwas oder jemanden glaubte, dann an eine nicht näher definierte, gütige, Mutter-Erde-mäßige Gottheit. Doch welche himmlischen oder nicht-himmlischen Mächte auch immer diese Krankheit über Marti brachten – sie besaßen einen besonders brachialen Sinn für Ironie.
Ich meine: Marti! Überzeugte Kohlesserin, Schadstoffjägerin, erklärte Gegnerin von Mikrowellen und Mobiltelefonen. Eine Frau, die stets nur Bio-Nahrungssmittel aß und in Bettzeug aus Bio-Baumwolle schlief. Und ausgerechnet Marti bekam Krebs?
Obwohl eigentlich dagegen, erklärte sie sich auf Drängen der Familie schließlich einverstanden mit einer kurzen Chemotherapie am Cornell Medical Center in New York. »Medizinische Kriegsführung« nannte sie diese Art von Behandlung. Sie war so durch und durch friedliebend, dass sie den Ausdruck »den Krebs bekämpfen« ganz furchtbar fand. Die Chemo schlug nicht an. Die Ärzte empfahlen ihr dringend eine zweite.
Ich besuchte Marti. Sie sah überraschend gut aus – dünner, das schon, aber sie hatte ihr Haar nicht verloren und trug wie immer ihren lila Schal. Und sie war seltsam aufgekratzt. Wir redeten über das Buch der Schauspielerin und Sarah-Palin-Imitatorin Tina Fey und über Andrea Bocelli. Sie erzählte mir von einer Freundin, die vor Jahren den Kinderbuchklassiker Walter, der furzende Hund illustriert hatte und die meine Kinder vielleicht gerne kennenlernen würden. Bei einem meiner Besuche gingen wir gemeinsam zum Central Park und legten uns auf die Wiese. »Heilendes Erden« nannte sie das.
Wir standen in täglichem E-Mailkontakt, einfach so, nicht wegen irgendwelcher wichtiger Vorkommnisse. Jasper fragte nach ihrem Lieblingstier, und sie antwortete: »Der Elefant, weil Elefanten im Matriarchat leben, um ihre Toten trauern und Vegetarier sind.« Sie schimpfte mit mir, als ich dazu überging, den ganzen Tag meine Sonnenbrille zu tragen, nachdem meine normale Brille kaputtgegangen war (ganz schlecht für den Biorhythmus). Sie fragte mich, ob ich wüsste, dass Paul McCartneys neue
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