Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
sie in der Garage unter einem Laken verstecken.
Und ich habe angefangen, Männern hinterherzuschauen. Keine Frage, ich leide an Bizepsneid. Ich schaue prüfend auf die Venen, die ihre Arme überziehen, und vergleiche sie mit meinen. Nie zuvor war es mir so wichtig, gut sichtbare Blutgefäße zu haben.
Oder vielleicht doch. Rückblickend muss ich sagen, dass ich mir jahrelang einfach nicht eingestehen wollte, wie sehr ich unter meinem konkaven Oberkörper litt. Ich tat so, als sei er mir egal. Ich tat so, als sei ich über derlei Sorgen erhaben. Aber gleichzeitig fand ich es immer schrecklich, mich beim Sport vor allen anderen umziehen zu müssen. Und am Strand behielt ich grundsätzlich mein T-Shirt an.
Der zarte Ansatz neuen Muskelgewebes weckt in mir die Lust auf mehr. Auf Vorschlag meines Freundes Tim Ferriss – der Autor von Der 4-Stunden-Körper: Fitter, gesünder, attraktiver – schlucke ich täglich Kreatin, eine organische Säure, die in der Skelettmuskulatur vorkommt und als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich ist.
Gleichzeitig ist mir vollkommen klar, dass meine neue Muskelmanie ziemlich lächerlich ist. Es gibt nämlich nur eine minimale Korrelation zwischen tatsächlicher Gesundheit und dem, was wir als »gesundes Aussehen« bezeichnen. Insbesondere in Sachen Muskeldefinition. Haben die Einwohner von Okinawa – das langlebigste Volk der Welt – allesamt Sixpacks? Ich bezweifle es. Auf den mir vorliegenden Fotos war jedenfalls nichts dergleichen zu erkennen.
An der Ernährungsfront bin ich immer noch damit befasst, die Größe meiner Portionen einzudämmen. Vor jeder Mahlzeit spreche ich mein 80-Prozent-Gebet. Ich habe es von einem japanischen Sprichwort abgeleitet, wonach man stets bestrebt sein sollte, nur so viel zu essen, bis man zu vier Fünfteln satt ist. Ich achte das Kau-Gebot. Und weil ich süchtig nach diesen teuflischen getrockneten Mangospalten bin, folge ich einem Rat von Sam Sommers, Sozialpsychologe an der Tufts University, und verpacke sie grundsätzlich neu – jede einzelne Mangospalte in ein eigenes kleines Plastiktütchen. Und – es funktioniert! Mein Verstand glaubt, er kriegt die übliche Portion, obwohl die Portion inzwischen nur noch aus einer einzigen Spalte besteht. Anders ausgedrückt: Mein Verstand ist ein Schwachkopf.
Und so gelingt es mir – nicht immer, aber immer öfter – die Größe meiner Portionen unter Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig drängt sich mir immer wieder die eine entscheidende Frage auf: Woraus sollen diese Portionen konkret bestehen? Wie sieht gesunde Ernährung eigentlich aus? Wer von den Zehntausenden Ernährungsexperten in den USA hat recht? – Also beschließe ich, die Suche nach der Antwort auf diese Frage zum Schwerpunkt des nächsten Monats von Project Health zu machen.
KAPITEL 6
Der Magen, die Zweite
Auf der Suche nach der richtigen Ernährung
Vor ein paar Tagen bin ich zufällig auf jemanden gestoßen, der sich für mein Projekt als interessant erweisen könnte: Dr. Steven Bratman, Wissenschaftler aus Colorado. Er hat eine neuartige Essstörung entdeckt, sie auf den Namen »Orthorexia nervosa« getauft und bezeichnet damit das krankhaft ausgeprägte Verlangen, sich möglichst gesund zu ernähren.
Konkreter ausgedrückt: Wer sich zwanghaft mit der Qualität seiner Nahrung beschäftigt, gerät dadurch auf Dauer so unter Stress, dass die negativen Folgen dieser nervlichen Belastung schwerer wiegen als der potentielle Nutzen gesunder Ernährung. Eine faszinierende Theorie – also bitte ich Dr. Bratman per E-Mail um ein Interview.
Er ist einverstanden und schreibt in seiner Antwort gleich dazu, er habe eine Menge »gesalzene Kommentare« in petto. Gesalzen. Interessante Wortwahl für einen Ernährungswissenschaftler. Selbst rein sprachlich hat der Mann mit Gesundkost offenbar nichts am Hut.
Im Gespräch zeigt sich Dr. Bratman dann wie versprochen von einer ausgesprochen salzigen Seite. Er hält den Hype um gesunde Ernährung für »schwachsinnig« und bekennende Gesundesser für »Schwätzer«. Zu sehr auf die Ernährung zu achten, sei letztlich ungesund, weil »dadurch das Leben aus dem Gleichgewicht gerät«.
Früher war Bratman in Sachen Ernährung selbst ein Gesundheitsapostel. In den siebziger Jahren war er Biobauer und Kopf einer Kommune im Bundesstaat New York. Den lieben langen Tag dämpfte er Tomaten und debattierte darüber, ob Dosen aus Aluminium nun giftig seien oder nicht. Der Tag, »an dem ein übereifriger
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