Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Besucher mich davon überzeugen wollte, dass man das Energiefeld von Gemüse zerstört, wenn man es in Scheiben schneidet«, wurde zum Wendepunkt in seinem Leben, erzählt Bratman. Frustriert jagte er den Bio-Missionar mit einem Hackebeil vom Hof.
Den Begriff »Orthorexie« prägte er nach seinem ernährungstheoretischen Sündenfall. »Ortho« ist vom griechischen Wort für »der Richtige« abgeleitet, und »rexie« vom griechischen Wort für »Appetit«. Orthorexie ist demnach das manische Streben nach korrekter Ernährung. Ein Krankheitsbild, das es bisher noch nicht auf die Liste anerkannter psychischer Störungen geschafft hat. Doch unter Forschern und Therapeuten hat es inzwischen durchaus eine gewisse Anhängerschaft gefunden. Bratman selbst beschreibt das Phänomen gemeinsam mit David Knight in dem Buch Health Food Junkies .
Hier einige der wichtigsten Symptome:
Wenn Orthorexiker etwas zu sich nehmen, das nicht mit den Prinzipien gesunder Ernährung vereinbar ist, leiden sie an Schuldgefühlen und Anfällen von Selbsthass.
Sie vereinsamen zusehends, weil es ihnen immer schwerer fällt, Mahlzeiten gemeinsam mit weniger ernährungsbewussten Freunden einzunehmen.
Gesundkost wird zur Ersatzreligion: Orthorexiker sind der Überzeugung, auf dem richtigen Pfad zu wandeln, und blicken mit Verachtung auf Allesfresser herab.
Bratman selbst formuliert das so: »Einen Tag bei Weizengrassaft, Tofu und Quinoakeksen zu verbringen, kann eine ähnlich spirituelle Erfahrung sein wie ein Tag im Dienste der Armen- und Obdachlosenhilfe.«
Gesundkost-Fetischismus wird mir, Bratman zufolge, also schaden. Kann sein. Trotzdem muss ich mir einfach ein paar Grundregeln aneignen, wenn ich der gesündeste Mensch auf Erden werden will. Also, wie lautet sein Rat?
»Achten Sie auf Ihr Gewicht und nehmen Sie genug Vitamine zu sich.«
Und das war’s schon? Ist das alles, was er zum Thema gesunde Ernährung zu sagen hat? Ich bohre nach.
Doch Bratman sträubt sich. Das Problem ist, sagt er, dass alle Welt auf Geheimtipps hofft: Selen schützt vor Blasenkrebs – also esst Paranüsse! Flavonoide schützen vor Herzerkrankungen – also esst Ananas! Doch so konkrete Tipps hat die Wissenschaft einfach noch nicht zu bieten. Weshalb sich Bratman zufolge sämtliche Gesundheitsratschläge in ein paar Sätzen zusammenfassen lassen:
»Es spricht durchaus einiges dafür, Obst und Gemüse zu essen. Achten Sie darauf, genug Schlaf zu bekommen. Lassen Sie sich nicht in den Gegenden der Welt nieder, in denen die Umweltverschmutzung am größten ist. Rauchen Sie nicht. Verzichten Sie auf Sportarten wie Skifahren und Drachenfliegen, denn die sind unglaublich viel gefährlicher als ›ungesundes‹ Essen. Regelmäßige körperliche Bewegung ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine gute Idee. Und trinken Sie nicht zu viel Alkohol – höchstens ein bis zwei Gläser am Tag. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Bratman hält den Kult um Antioxidantiengehalt und glykämischen Index für ungerechtfertigt, schlicht weil es noch nicht genügend gesicherte Fakten zum Thema gibt. So gesehen ist die Ernährungswissenschaft nicht viel solider aufgestellt als die Graphologie. Sie ist, um es mit Bratmans Worten auszudrücken, »kaum besser als jedes x-beliebige Studentengeschwafel«.
Mit dieser Einstellung hat er sich in der Gesundkost-Community nicht nur Freunde gemacht. Auf seiner Website gibt es deshalb eigens einen Bereich für Hassmails aufgebrachter Leser. Hier als kleines Beispiel eine vergleichsweise gemäßigte Zuschrift: »Dr. Bratman, Sie sind ein Idiot. Hauen Sie sich ruhig ein paar Megaburger rein. Aber jammern Sie mir am nächsten Tag bloß nicht die Ohren voll. Genveränderte Nahrungsmittel, Glukose-Fruktose-Sirup, Aspartame, raffinierter Zucker und Weißmehl sind gut für uns, na klar! Und die Erde ist eine Scheibe! Schönen Tag noch – und schaufeln Sie sich ruhig noch ein paar Burger rein, Sie Schwachkopf.«
Ich halte Dr. Bratman nicht für einen Schwachkopf, obwohl ich seine Meinung nicht teile. Seine Schlussfolgerungen sind meiner Ansicht nach viel zu radikal. Trotzdem begreife ich sie als wichtige Warnung. Denn je intensiver ich mich mit Ernährungsfragen beschäftige, desto klarer wird mir, dass wir in diesem Bereich weitaus weniger wissen, als die Schlagzeilen uns vorgaukeln. Gesunde Ernährung ist eine frustrierend komplizierte Angelegenheit. Sie lässt sich nicht auf ein paar simple Faustregeln reduzieren. Oft glauben wir, wir hätten den
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