Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
sogenannten Schröpfgläsern erhitzt. Diese werden sofort mit der Öffnung nach unten auf den Körper gestülpt. Durch den entstehenden Unterdruck wird die Haut in die Gläser gesaugt. Je nachdem, wie viele Gläser zum Einsatz kommen, ist das Ergebnis eine gläserne Landschaft kleiner Hauthügelchen. So sollen Gifte aus dem Körper gesaugt werden. Und bei dem ganzen Brimborium muss da doch einfach was dran sein, oder?
Dieselbe Logik ließe sich natürlich auch auf die Akupunktur anwenden; so wäre ihre Wirksamkeit zumindest teilweise erklärlich. Sich in ein menschliches Nadelkissen verwandeln zu lassen, ist eine ziemlich extreme Heilmaßnahme, da geht das Gehirn quasi davon aus, dass sie auch funktioniert.
Was mich gleich zur nächsten Frage bringt: Muss das Gehirn Placebos eigentlich für bare Münze nehmen, damit sie wirken? Muss man an sie glauben? In der Vergangenheit haben viele Studien diese Frage bejaht. Ich kann mich noch genau an den traurigen Tag erinnern, an dem ich las, dass mein Lieblings-Grippemedikament Airborne – das sind diese orangefarbenen Sprudeltabletten, die laut Werbung voller Vitamine, Aminosäuren, Kräuterextrakten, Antioxidantien, Elektrolyten, Spurenelementen und dergleichen mehr stecken – kaum wissenschaftlich nachweisbare Resultate erzielt. Damals glaubte ich an Airborne und war mir sicher, damit laufende Nasen schon oft erfolgreich gestoppt zu haben. Aber nach diesem Miesmacherartikel war ich mir nicht mehr so sicher. Und Airborne wirkte nicht mehr.
Andererseits gibt eine Studie der Harvard Medical School aus dem Jahr 2010 Anlass zu der Vermutung, dass Placebos wirken, selbst wenn die Patienten wissen, dass sie ein Scheinmedikament erhalten . Das Befinden von Reizdarm-Patienten verbesserte sich, obwohl ihnen bei der Einnahme ihrer Medikamente mitgeteilt wurde, es handele sich um Placebos. Die zweimal tägliche Einnahme einer Tablette führt offenbar zur Entstehung eines »Selbstheilungsrituals«, so der Autor der Studie.
Auch ich habe den Effekt einer solchen »offenen Placebo-Behandlung« schon erlebt. Allerdings glücklicherweise nicht mit Reizdarmbeschwerden. Vor ein paar Monaten fiel meine Brille einem Gerangel mit meinem fünfjährigen Sohn zum Opfer. Das Gestell verbog sich so, dass die Gläser herausfielen. Faul und stur wie ich bin, trug ich noch ein paar Tage das leere Brillengestell, bevor ich die Brille zur Reparatur brachte. Und jetzt kommt’s: Mit dem leeren Brillengestell auf der Nase habe ich besser gesehen als ohne. Ich schwör’s.
Sollte die Wirksamkeit der offenen Placebobehandlung zweifelsfrei nachgewiesen werden können, werde ich ein Joint-Venture mit einem großen Pharmahersteller eingehen und den Verkaufs-Hit auf dem Medizinsektor landen: Plazibo.
Junggebliebene leben länger
Heute bin ich wieder durch den Park gerannt, um meinen Großvater zu besuchen. Als ich ins Wohnzimmer komme, macht er gerade in seinem altgedienten Ruhesessel ein Nickerchen. Er braucht ein bisschen, um aus den Tiefen des Schlafs wieder aufzutauchen.
»Woran arbeitest du gerade?«, fragt er mich.
Ich erzähle ihm von Project Health . Ein Dutzend Mal habe ich ihm schon davon erzählt. Er nickt. Seine Reaktion lässt offen, ob er sich nun daran erinnert oder nicht.
Ich berichte ihm die neuesten Erkenntnisse meiner Schmerzrecherche.
»Meine Lieblingsstudie belegt, dass Schmerz sich durch Fluchen lindern lässt«, sage ich.
Er lacht.
Die im Fachjournal NeuroReport veröffentlichte Studie ergab, dass die Probanden die Hände 40 Sekunden länger in eiskaltes Wasser halten konnten, wenn sie dabei Kraftausdrücke von sich geben durften. Möglicherweise stimulieren die Flüche die Amygdala, also den Teil des Gehirns, der bei Gefahr über Angriff oder Flucht entscheidet und das Schmerzempfinden verringert.
Meine Tante Jane, die wieder aus Maryland zu Besuch ist, erzählt von einem Vortrag des Harvard-Professors Steven Pinker über die Psychologie des Fluchens. Der Vortrag ist offenbar im Internet verfügbar.
»Schauen wir uns den doch an«, sagt mein Großvater.
Jane findet ihn auf YouTube und klickt auf »play«. Pinker beginnt seinen Vortrag mit dem Zitat »This is really, really fucking brilliant« von Bono. Ein Ausspruch, der ihm am Obersten Gerichtshof ein Verfahren wegen Obszönität einbrachte.
Im weiteren Verlauf seines Vortrags reiht Pinker mit Bukowskischer Begeisterung ein F-Wort ans nächste; auch das Sch-Wort, das A-Wort und so ziemlich jeder andere ebenso bekannte
Weitere Kostenlose Bücher