Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
einem Gesundheitsabenteuer pro Woche teilzunehmen. Doch nun mahnt sie, ich solle mir gut überlegen, zu welchen Aktivitäten ich sie mitnehme.
»Diese Sache lohnt sich bestimmt«, sage ich.
Der Kurs findet im Equinox statt, einem schicken Fitness-Studio, in dem ein attraktives Marketing-Mädel Gratisproben eines heidelbeerfarbenen Energy-Drinks verteilt.
Die schätzungsweise 100 Kursteilnehmer versammeln sich im komplett verspiegelten Aerobic-Raum. Wir nehmen alle eine Matte, und dann warten wir auf unser Oberhaupt, Patricia Moreno. Patricia hat intenSati erfunden und genießt in New York geradezu kultische Verehrung.
Endlich erscheint sie. Eine schöne Frau mit karamellfarbener Haut, die ein Kopfmikro, ein pinkes Stretchtop und in der Hand einen Notizblock trägt. Außerdem ist sie im siebten Monat schwanger, ein Umstand, der sie jedoch nicht davon abhält, tiefe Kniebeugen und halsbrecherische Kicks zu vollführen.
Sie schaltet die Beleuchtung auf rotes Licht. Es verleiht der Atmosphäre einen beruhigenden Touch. Oder einen Touch von Dunkelkammer – wie man’s nimmt.
»Heute trainieren wir ein tolles neues Programm!«, sagt Patricia.
Beifallsjauchzer und Applaus im Saal.
Patricia wirft einen Blick auf ihren Notizblock. Dann hält sie einen fünfminütigen Vortrag darüber, dass Opfer bringen muss, wer Ziele erreichen will.
Ich schaue verstohlen zu Julie. Ihre Arme sind vor der Brust verschränkt. Ein schlechtes Zeichen. Julie geht nicht ins Fitness-Studio, um sich Predigten anzuhören. Sie will einfach nur Energie verbrauchen und ihre Muskeln fordern.
Das machen wir dann auch. Nach der Rede unterziehen wir jede einzelne Körperpartie einem intensiven Training. Und zwar inklusive der Stimmbänder.
IntenSati, so stellt sich heraus, ist nicht einfach nur Aerobic. Es ist ein Zwischending aus Aerobic, NLP -Kurs und Pfingstlermesse. 50 Minuten springen, stampfen, hüpfen – und dazu permanentes Frage-Antwort-Brüllen.
»Aufgeben gibt’s nicht!«, brüllt Patricia stampfend und springend.
» AUFGEBEN GIBT’S NICHT !«, brüllen wir alle stampfend und springend.
»Macht ihr mit, um zu gewinnen?«
» ICH MACH MIT, UM ZU GEWINNEN !« Wir bücken uns, berühren den Boden, richten uns wieder auf, boxen in die Luft.
»Ich will, ich will, ich will will will!«, brüllt Patricia.
» ICH WILL, ICH WILL, ICH WILL WILL WILL «, röhren wir zurück, während wir Ausfallschritte und wilde Tritte vollführen.
Die Teilnehmer – hauptsächlich Frauen, hauptsächlich gut durchtrainiert, hauptsächlich inzwischen von glitzernden Schweißtröpfchen bedeckt – sind voll bei der Sache. Sie schreien so laut, dass die Venen am Hals hervortreten. Ich schaue zu Julie. Sie wiederholt Patricias Worte mit der Begeisterung eines Drittklässlers, der den Fahneneid ablegen soll.
»Kriegerpose!«, ruft Patricia.
In einem kraftvollen Sprung nehmen wir Ninjahaltung ein.
»Jeden Tag, zu jeder Zeit bin ich der Schöpfer meiner Wirklichkeit!«, brüllt sie.
» JEDEN TAG, ZU JEDER ZEIT BIN ICH DER SCHÖPFER MEINER WIRKLICHKEIT !«, brüllen wir zurück.
Ich versuche, Julies mangelnde Begeisterung durch meinen eigenen Eifer wettzumachen, der immerhin zu 50 Prozent echt ist. Die anderen 50 Prozent wurzeln in einem gewissen Schuldgefühl. Ich habe Julie überredet, zu intenSati mitzukommen, und jetzt will ich sie – und mich selbst – davon überzeugen, dass diese Stunde sich auch gelohnt hat.
Im Prinzip habe ich nichts gegen Autosuggestionsparolen, noch nicht mal gegen komplizierte. Schöpfer meiner Wirklichkeit? Warum nicht? Wir sehen die Welt doch alle, wie wir sie sehen wollen.
Eigentlich ist der Slogan gar nicht so schlecht. Schon seit einiger Zeit suche ich nach einem inspirierenden Mantra – genauer gesagt, seit ich auf Nikes wunderbar prägnantes »Just do it!« verzichte: Ich fand heraus, dass der Werbetexter sich von dem Satz hatte inspirieren lassen, den der Raubmörder Gary Gilmore auf dem Weg in die Todeszelle von sich gab. Seitdem bringe ich den Spruch nicht mehr über die Lippen, ohne spontan an ein Exekutionskommando zu denken.
Jedenfalls verfehlen solche Autosuggestionsparolen ihre Wirkung bei mir nicht. Und im Laufe der letzten 40 Minuten ist mein Selbstvertrauen gewachsen, ehrlich. Meine Körperhaltung wird besser. Meine Endorphine fließen.
Wenn man solche Sprüche nur lange und laut genug in einer solchen Umgebung brüllt, dann glaubt man irgendwann dran. Ich kann alles! Ich kann ein Sonett schreiben! Ich
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