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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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nickt zu der Ruine hinüber. »Sie werden schon erwartet.«
    Das sagt er so, als wäre der Sensenmann persönlich anwesend. Nur wo? Es werden sich wohl kaum Menschen zwischen diesen eingefallenen Mauern befinden.
    »Haben Sie eine Taschenlampe?«
    Er lacht düster auf. »Natürlich nicht. Kommen Sie mit.«
    »Das war eine ganz dumme Frage«, sage ich sarkastisch. »Entschuldigen Sie bitte vielmals. Wie unüberlegt und vor allen Dingen wie anmaßend von mir, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass jemand bei Dunkelheit eine Taschenlampe mit sich führt.«
    Er antwortet nicht, was ich recht unhöflich finde, aber er ist sowieso ein unkultivierter Flegel, der von lotrechtem Regen spricht, was soll man da noch groß erwarten? Trotzdem bin ich froh, dass er vorausgeht und nicht hinter mir, so kann ich sicherstellen, dass
er mich nicht mit einem Morgenstern hinrichten oder mich mit dem Antoniusfeuer oder dem Fleckfieber infizieren kann, wie immer das auch gehen mag. Auf den Heuler kann ich nicht zählen, das weiß ich. Der wird mich ganz sicher nicht beschützen. Satan. Lächerlich. Da, er grunzt schon wieder jammerig vor sich hin, weil er nichts zu sehen scheint. Weichei.
    Ich tapse also dem Langhaarigen hinterher, wir gehen durch einen Mauerdurchbruch und stehen letztendlich in einer Art Hof, in dessen Mitte ich schemenhaft einen Brunnen erkenne. Wie romantisch. Bestimmt ranken sich um den Brunnen rote Rosen, und wenn ich brav bin, wird da noch eine Schaukel für mich angebracht.
    »Hier entlang.«
    Jetzt geht es weiter, an dem Brunnen vorbei, und wir kommen in einen neuen Hof, der von hohen Mauern umgeben ist. Ich finde das alles sehr, sehr seltsam. Was sind denn das für Fahrgäste? Müssen die erst noch irgendwo ausgegraben werden?
    Ich höre, wie der Ungehobelte eine Tür öffnet, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Sie befindet sich in der Mitte einer der Mauern. Er dreht sich zu mir um. »Wir nehmen den Fahrstuhl.«
    Den Fahrstuhl? Wo soll es denn hier einen Fahrstuhl geben? Der Heuler weicht instinktiv vor der Tür zurück. Spürt er die lauernde Gefahr? Aber vielleicht fürchtet er sich auch nur vor der kleinen Maus, die eben mit einem leisen Rascheln vorbeigehuscht ist. Dem Heuler traue ich alles zu, nur nicht, dass er eine echte Gefahr erkennt.
    »Ich … «, fange ich an, weil ich langsam wirklich ein mulmiges Gefühl bekomme. Es ähnelt dem Gefühl, das ich hatte, als ich dem Heuler zum ersten Mal begegnet bin. Aber der Langhaarige hat mittlerweile schon auf einen Knopf gedrückt, und eine Sekunde später öffnet sich knirschend eine Fahrstuhltür, die alles andere als modern aussieht. Ich überlege ehrlich, ob ich in diesen Fahrstuhl einsteigen soll. Zwar weiß Malte, wo ich bin, weil er mir ja die Adresse gesagt hat, aber wer weiß, wohin man mich bringt,
nachdem ich tot bin. Da nützt diese Adresse der Polizei gar nichts. Gut, man wird mein Auto finden – oder auch nicht, sie könnten mir ja die Wagenschlüssel abnehmen und das Taxi Gott weiß wohin bringen. Letztendlich gehe ich aber doch die paar Schritte nach vorn und stehe dann in diesem ungefähr einen Quadratmeter großen Aufzug, gemeinsam mit dem Heuler und dem »In Schottland fällt der Regen lotrecht«-Menschen und warte darauf, was als Nächstes passiert. Die Tür schließt sich quietschend und knarzend, und dann geht es offenbar nach unten. Recht schnell. Irgendwann macht es »Klong«, und der Fahrstuhl kommt zum Stillstand. Eine Art Notbeleuchtung in diffusem Rot schaltet sich ein.
    »Herrje, er ist schon wieder stecken geblieben«, mein Gegenüber bummert an die eine Wand. »Heda! Heda!«
    Heda?
Haben die so nicht im Mittelalter gesprochen? Ja doch.
    Der Heuler hechelt panisch.
    Der Mann dreht sich zu mir um und lächelt schon wieder so komisch. »Man sagt, ich sehe aus wie John Malkovich in
Con Air
.« Durch das Licht sind seine Zähne gut zu erkennen. Die beiden Eckzähne stehen weiter vor als die anderen.
    Ich muss schlucken. Und frage mich zum ersten Mal wirklich ernsthaft, a) was hier los ist, und b) wo ich hier hingeraten bin. Ich bin eine Taxifahrerin, die eine Tour nach Schleswig-Holstein angenommen hat, habe seit neuestem einen verhaltensgestörten Wolf als Haustier, verkleide mich gern mal als Rotkäppchen, tarne einen Heißwasserkocher als Napfkuchen, trage ein kariertes Kopftuch und derbe Wanderstiefel, befinde mich im steckengebliebenen Aufzug einer Ruine, in der ich eigentlich bloß Fahrgäste abholen wollte, und mir

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