Saugfest
von Zottel. »Früher hieß sie Zappenburg. Sehr viel früher.«
»Wie schön.« Was soll ich sonst sagen? »Heute ist da ein Hotel drin. Und wie gesagt findet da heute auch eine Hochzeit statt.« »Warum bist du nicht dort?«
»Meine beste Freundin heiratet.«
»Ein Grund mehr, um dort zu sein.«
»Eben nicht. Sie ist ja nicht mehr meine beste Freundin. Man hat mich rausgeschmissen, und dann bin ich mit dem Heuler nach Hause gefahren.« Wie aufs Stichwort kommt der Heuler auf mich zugelaufen und möchte gestreichelt werden.
Mit einem Mal habe ich ein Gefühl in mir, das ich bislang noch nicht kannte. Ich versuche herauszukriegen, was es ist, aber es gelingt mir nicht. Jedenfalls will ich, aus welchen Gründen auch immer, dem mit der Zedernholzstimme nicht erzählen, wie ich mich auf Annkathrins Hochzeit benommen habe. Aber er sieht mich erwartungsvoll an.
»Ich habe meine Freundin beleidigt und ihren Mann auch«, sage ich schließlich, und mir wird plötzlich ganz heiß. Ich glaube, ich werde gerade zum ersten Mal in meinem Leben rot. Merkwürdig.
»Aha«, sagt Hubertus. »Und jetzt also hast du ein schlechtes Gewissen.«
Er bringt es auf den Punkt. Das Gefühl, das ich habe, das ist das
schlechte Gewissen
. Ist das komisch. Und ausgerechnet jetzt, in dieser sowieso schon merkwürdigen Situation, überkommt es mich. Ich bedauere, dass es an meinem Körper keinen Schalter gibt, mit dem man so was abstellen kann.
Und ich weiß immer noch nicht, was hier vorgeht, bin aber neugierig, das gebe ich jetzt einfach mal zu. Mich würde interessieren, was Zedernholz macht, wenn ich sage, dass ich bleibe. Damit rechnet er hundertprozentig nicht. Selbstbewusst richte ich mich auf und sage: »Ich werde nicht gehen. Ich bleibe hier.«
9
Keiner außer William Wallace kommentiert meinen spontanen Entschluss, aber der scheint sich ehrlich zu freuen: »Wenn du im Nähen begabt bist, können wir gemeinsam Kilts herstellen«, schlägt er fröhlich vor. »Beim Säumen kann man wunderbar entspannen. Man muss sich aber auch konzentrieren. Ich für meine Person vergesse oft die Nahtzugabe, dann stehe ich dumm da. Oft verlege ich auch die Stecknadeln, weil es hier immer so dunkel ist.«
»Ich kann nicht nähen.« Viel mehr interessiert mich, was Hubertus zu meinem Entschluss sagt. Ob er mir gleich um den Hals fällt oder mir auf die Schulter klopft. Aber er steht nur da und blickt weise drein, als habe er meine Entscheidung sowieso kommen sehen, was mich ein Stück weit aggressiv macht.
»In Ordnung«, sagt er und sonst nichts. Ich bin mal wieder irritiert.
»Ich werde dich einweisen«, ruft Zottel. »Das mache ich immer mit den Neuen. Ich finde, du brauchst was anderes zum Anziehen. Da kriegt man ja Angst.«
Ja, Zottel, ist klar, dass du Angst kriegst vor einer zünftigen Tracht, die aus grobem Stoff gefertigt ist, und vor einem handgeflochtenen Weidenkorb. Da muss man ja schlottern und um sein Lebenslicht bangen. Diese Art Kleidung setzt im Gehirn ganz automatisch Panikzustände frei, das Opfer möchte weglaufen, ohne sich umzudrehen, und dabei schreien, während die Haare schon vor lauter Aufregung verfilzen: »Ich will doch noch nicht sterben, ich bin doch noch so jung!« Und möglicherweise, mit ein ganz klein wenig Glück, steht hinter irgendeiner Holztür noch Klaus
Kinski mit einem Tablett, auf dem sich ein Glas befindet, zuckt mit den Schultern und sagt gar nichts oder zu dir: »Du hast die toten Augen von London.« Du dagegen, Zottel, hast deine Kleidung richtig gewählt. Vor einem langhaarigen Bleichen in Lederkluft, der als hervorragendste Eigenschaften seine stechenden Augen und seine gutturalen Laute erwähnen darf, bleibt man fröhlich stehen, auch bei Donnergrollen auf einem dunklen, unbekannten Waldpfad, auf dem man schon im Morast oder über das eine oder andere verweste Leichenteil gestolpert ist, und fragt, ob man mit unter deine Kapuze kriechen darf, bis der lotrechte Regen nachgelassen hat. Mit dir, Zottel, spielt man gern am Samstagabend nach der Ziehung der Lottozahlen
Fang den Hut
oder
Malefiz
, und man hat auch keine Angst davor, dich nicht extra gewinnen zu lassen, weil du so ein gutmütiger Kerl bist, mit dem man Pferde stehlen kann und der einem nichts krummnimmt. So bist du, Zottel. Ein Mann, von dem jedes Mädchen nachts träumt, egal ob es in Ostfildern im Bett liegt, in Fraunauses oder in den Steppen Karagandas.
Natürlich sage ich gar nichts von alldem, sondern frage nur: »Was bedeutet
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