Saugfest
Sie wird »erst mal alles so lassen, wie es ist«, um dann meine Mutter anzurufen, um … O nein! Ich muss es meiner Mutter sagen! Sie wird durchdrehen, wenn sie niemanden hat, der sie nächste Woche zum Osteopathen fährt, und auch, wenn sie hört, dass ich angeblich verschollen bin. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, klingelt mein Handy schon wieder. Das wird wieder meine Mutter sein.
Hubertus weicht zurück. Das Läuten dieses Telefons scheint ihm zuzusetzen. Ich gehe trotzdem ran. »Heilige Maria Mutter Gottes!«
»Malte … du, das ist jetzt ganz schlecht. Ich wollte dich sowieso noch anrufen, weil ich … «
»Die Sünde! Die Sünde!« Malte atmet rasselnd ein und aus. Er ist sehr aufgeregt. »Versündigt hast du dich«, geht es weiter. »Deine beste Freundin – und du trägst die Schuld – ist in eine tiefe Schlucht gestürzt! An ihrer Hochzeit!«
»Was redest du da?« O meine Güte, das wollte ich nicht!
»Sie war außer sich, weil du mal wieder alles dafür getan hast, um ihr alles zu verderben. Du Unglückselige!«
»Ist sie verletzt?« Mein Herz rast. Hubertus tätschelt mir beruhigend den linken Unterarm. Mein Herz rast noch mehr.
Ein hämisches Auflachen ist die Antwort. »Natürlich ist sie verletzt. Stürz du mal in eine Schlucht!«
»In welchem Krankenhaus ist sie? Und woher weißt du das alles überhaupt? Du warst doch gar nicht auf der Hochzeit!«
»Was mache ich gerade?«
»Woher soll ich das wissen?«
Malte schnaubt auf. »Ich telefoniere mit dir.«
»Ja und?«
»Damit wollte ich dir klarmachen, dass wir im Zeitalter der Mobiltelefone leben. Andere Leute wissen das auch schon.« Jetzt wird seine Stimme dünner. »Aber was zählt das alles? Was? Tatsache ist, dass deine Freundin am Ende mit ihren Nerven ist. Psychisch zumindest.«
»Was soll denn das jetzt heißen? Ich denke, sie ist in eine Schlucht gestürzt?«
»Sicher ist sie das. Glaubst du, so etwas beutelt einen nicht?«
»Malte! Könntest du jetzt bitte mal Klartext reden? Sag mir jetzt, was passiert ist. Sofort!«
Drei Minuten später weiß ich, dass Bernie und Annkathrin bei Malte angerufen haben, um ihn beziehungsweise die Geschäftsführung zu bitten, mich fristlos zu entlassen, um »ihr einen Denkzettel zu verpassen«, was ich ein Stück weit unverschämt finde; immerhin geht es bei dieser Forderung um eine gewollte Existenzvernichtung. Malte hat natürlich gefragt, warum, und dann haben die beiden abwechselnd losgelegt. Angeblich hat Annkathrin
auch laut geheult, was ich wiederum gerechtfertigt finde. Wahrscheinlich ist ihr in diesen Minuten endlich klargeworden, dass sie den falschen Mann geheiratet hat.
»Also ist sie gar nicht tot«, stelle ich abschließend fest. »Noch nicht mal verletzt. Du wolltest mir also sagen, dass Annkathrin einen kleinen Nervenzusammenbruch hatte. Du hast also wieder mal übertrieben. In eine Schlucht gefallen … «
»Du sagst das ja gerade so, als wärst du traurig darüber«, wirft Malte mir vor, aber das stimmt natürlich nicht. Ich wünsche niemandem den Tod. Auch keine schwere Verletzung. Na ja, Isolde und Bernie … darüber könnte man kurz diskutieren. Ich habe mir ehrlich gesagt schon oft überlegt, was ich, wäre ich dafür verantwortlich, auf Isoldes Grabstein einmeißeln lassen würde.
Bleib ruhig liegen
fand ich nicht schlecht.
»Unsinn«, sage ich.
»Vielleicht bist du so nett und erklärst mir kurz aus deiner Sicht, was Sache ist«, fordert Malte. »Du weißt, ich bleibe immer gerecht, aber wenn sich herausstellt, dass du gesündigt hast, dann hilf dir Gott im Himmel. Sünde muss gesühnt werden, da komme, was wolle. Natürlich richtet letztendlich der Allmächtige, aber was ich dafür tun kann, um im Vorfeld die Sünde auszumerzen und die Menschen zur Buße anzuleiten, das tue ich. Gottes Segen, sein Segen, muss uns gewiss sein, wenn die Zeit gekommen ist, um vor Ihn zu treten, Er wird uns leiten in Himmel oder Hölle, Er wird den Weg ebnen für … «
»Herrgott nochmal, Malte, hör auf mit dieser gequirlten Hühnerkacke!« Ich kann es nicht ertragen. »Ich frage mich eigentlich jeden Tag, warum du nicht Priester geworden bist.«
»Das wäre ich gern, aber meine Eltern, Gott hab sie sooo selig, sie wollten, dass ich etwas Bodenständiges erlerne. Gas- und Wasserinstallateur. Pah! Ich bin nicht geboren für so etwas. Nein, meine Bestimmung, sie hat schon immer woanders gelegen … « Jetzt geht das wieder los. »Die Kirche, das ist meine Bestimmung.
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