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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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sich abreagiert und hockte kurz darauf wieder vor einem der Monitore, um weiterzutippen.
    Alle, alle, die hier arbeiteten, hatten weiße Gesichter, wirkten ungepflegt, verwirrt, brabbelten vor sich hin und schienen auf eine diffuse Art und Weise von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Einige erweckten in mir auch den Eindruck, an einer Geisteskrankheit zu leiden, was mich nicht weiter verwunderte, genauso wenig wie die Tatsache, dass bei diesem und jenem dünne Speichelfäden aus dem Mund liefen und kurze Zeit später in die Tastaturen tropften. Das war zwar eklig, passte aber ins Gesamtbild. Kurzum – es war dort genauso wie jetzt hier. Und dass hier alle den Laptop so komisch angeschaut haben, das passt auch – immerhin waren darauf ja keine Zahlen zu sehen, sondern ein Film. Der Einzige, der nicht hierherpasst, ist William Wallace, aber vermutlich ist er hier für das Wohl der anderen verantwortlich, also so eine Art Zofe oder Kammerdiener, wie die Trudy eben in
Titanic
. Denn er kann ja nähen, und Trudy konnte das bestimmt auch. Sigrun mit ihrem luftgetrockneten Schinken und
der Graupensuppe ist möglicherweise eine Aushilfsköchin oder wurde teilumgeschult, damit hier niemand verhungern muss. Ist es nicht verständlich, dass man wahnsinnig wird, wenn man jahrelang hier unten zusammengepfercht hockt und systemadministrieren muss? Ich glaube doch. Außerdem sind die Weißhemden ein Beweis dafür.
    Jedenfalls bin ich jetzt in der angenehmen Lage, mich entspannt zurückzulehnen. Angst habe ich auch keine mehr.
    »Also, bist du bereit?«, fragt mich Hubertus, und ich nicke. Wollen wir doch mal schauen, was ein Systemadministrator im Endstadium so alles zu sagen hat. Wobei ich bei Hubertus noch Hoffnung habe. Er scheint mir der zu sein, der noch am meisten im Kopf hat.
    »Du musst das hier bei uns ziemlich ungewöhnlich finden, und das kann ich auch gut nachvollziehen.« Hubertus nimmt einen Schluck des spontangegärten Honigweins und macht daraufhin genüsslich: »Aaaaah, das tut gut!« Seine Augen glitzern.
    Ich sage »Ach, es geht so« und denke darüber nach, zu einem Gläschen Met doch nicht nein zu sagen.
    Hubertus überlegt kurz. »Hast du eine ungefähre Vorstellung von dem, was dich bei uns erwartet?«
    Ich nicke. »Klar. Alles, was mit HTML zu tun hat. Zum Beispiel.« Mir ist wichtig, dass Hubertus weiß, mit wem er es zu tun hat. Ich bin zwar kein PC -Profi, doch ich will, dass er das glaubt. Das gibt mir ein Stück Sicherheit. Wenn ich jetzt für längere Zeit hierbleibe, ist es ja wichtig, dass ich mich auskenne und damit Eindruck bei ihm schinde.
    Und ich werde länger hierbleiben, das steht fest. Allein, um Annkathrin in Sorge zu versetzen. Ich war nämlich so schlau, ihr einen Abschiedsbrief zu schreiben, als ich zu Hause war. In dem steht, dass sie daran schuld ist, dass ich jetzt beschlossen habe, andere Wege zu gehen und mich nicht mehr bei ihr zu melden. Selbstverständlich habe ich in dem Brief offengelassen, ob ich gedenke, Selbstmord zu begehen. Nein, man könnte alles Mögliche darin
lesen. Es könnte auch gut sein, dass ich mich auf den Weg mache, um einen Siebentausender zu besteigen oder Ringelrobben im russischen Ladogasee handzahm zu machen. Der Brief kann alles und nichts bedeuten. Und Annkathrin wird sich die grauenhaftesten Vorwürfe machen, was sie verdient hat, wie ich finde. Sie, die einen Wohnungsschlüssel von mir hat, wird sich kalkweiß im Gesicht an der Tischkante festkrallen, wenn sie diesen Brief liest, das Schluchzen wird ihre Schultern erbeben lassen, und irgendwann wird sie ans Fenster treten und den blassgrünen Vorhangschal aus luftigem Organzastoff sachte zur Seite schieben, so ich denn einen hätte, um dann in den wolkenverhangenen Himmel zu schauen und leise zu sagen: »Lebe wohl, meine Freundin.« Dann wird sie durch die Wohnung streifen (allein natürlich, weil Bernie kein Mann ist, den man beim Abschiednehmen bei sich haben möchte, er würde ständig nur völlig verständnislos »Haijooo« sagen) und versuchen, an einer Schöpfkelle oder dem Duschvorhang meinen Geruch aufzunehmen, was sie noch mehr zermürben wird. Mit Tränen in den Augen wird sie meine Küche betreten, die ungespülten Teller betrachten, denken ›Ach, Tiefkühltortellini waren ihre letzte Mahlzeit‹, und garantiert wird sie ihre Lippen an der Stelle, an der ich getrunken habe (Lippenstiftreste), auf ein benutztes Wasserglas pressen, um wenigstens noch ein bisschen DNA von mir zu erhaschen.

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