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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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der Zeit, dass ich dir einiges erkläre.«
    »Das ist eine prima Idee«, nicke ich zitternd und folge ihm wie ferngesteuert zu einem der Holztische.
    »Met?«, fragt er höflich, aber ich schüttele den Kopf. Noch bin ich kein Wikinger. Dann schaue ich mich panisch nach dem Rest der Gruppe um. Die Weißhemden liegen auf ihren Bahren, und unter anderem William und Sigrun und auch Zottel riechen an ihren Hälsen. Sie müffeln sicher arg, was kein Wunder ist, wenn man tagein, tagaus hier unten hocken muss. Wieder durchläuft mich ein Zittern, und mein Herz klopft wild. Die Spezies, die Spezies!
    »Deine Mutter ist eine wissbegierige Frau«, fährt Hubertus fort. »Sie interessiert sich für vieles. Bemerkenswert.«
    Ja, Hubertus. Meine Mutter interessiert sich für eventuelles Leben auf dem Saturn und wie gewährleistet wird, dass es da auch ein beheiztes Freibad gibt, das aus einer Waldquelle gespeist wird, dafür, woher der Name
Rübezahl
kommt, sie will wissen, warum ein Camembert
Lauterbacher Strolch
heißt und ob es Cerealien, Notausgänge, Dolby Surround, die Wechseljahre und Innenarchitekten wirklich gibt. Das und noch viel mehr muss man ihr in Zehntelsekunden beantworten, wenn es sie gerade überkommt, weil sie irgendwas irgendwo aufgeschnappt hat. Und wenn man ihr diese Fragen nicht sofort beantwortet, gilt man als unwissend und dumm wie eine Gartenlaube. Natürlich, Hubertus, könnte man meiner Mutter sagen, sie solle doch einfach nachlesen, wenn etwas sie so sehr interessiert, aber Buchstaben sind böse Halunken und schaden den Augen.
    Ich aber, Hubertus, habe schreckliche Angst vor euch.
    Ich weiß, wer ihr seid beziehungsweise was ihr seid.
    Du kannst es nicht mehr vor mir verbergen.
    Vor mir nicht.
    Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin!
    Ihr, ihr alle, ihr seid
Systemadministratoren
.

11

     
    Ganz langsam beruhige ich mich. Auch wenn ich Systemadministratoren nicht leiden mag, wenigstens sehe ich nun klar. Glasklar. Systemadministratoren sind mir unheimlich, und das sage ich nicht einfach so ins Blaue hinein, o nein, ich
weiß
, wovon ich spreche, ich kenne nämlich viele. Eine Zeitlang musste ich jeden Tag mit dem Taxi wichtige, sehr wichtige Unterlagen von einer Bank zu einer Computerfirma fahren, in geheimer Mission, versteht sich, weil das alles top secret war. In dieser Computerfirma war es so, dass man nicht einfach reinspazieren konnte, sondern es gab immense Sicherheitsvorkehrungen, unter anderem musste ich mein Auge vor eine Kamera halten, erst dann öffnete sich eine Stahltür. Ja, ich bin einer der Menschen, die von sich behaupten dürfen: »Meine Iris wurde für Sicherheitszwecke gescannt.« Das macht einen ganz schönen Eindruck, wenn man es erzählt, und die Leute schauen einen ehrfürchtig an, wobei mir gerade einfällt, dass ich das noch gar niemandem erzählt habe. Aber es ist
bestimmt
so.
    Die Leute, denen ich abends die hochbrisanten, geheimen Unterlagen bringen musste, waren von dieser Bank beauftragt worden, ein neues, absolut sicheres Programm zu entwickeln, so dass Hacker auch nicht die kleinste Chance hätten, es zu knacken. Da vereinbart worden war, dass die Dokumente persönlich zu übergeben waren, sprich, nicht noch durch die Hände Dritter gehen durften, musste ich wie gesagt durch mehrere Absperrungen und dann mit einem Fahrstuhl in einen Keller fahren, wo sie zuckend dasaßen und warteten. Die Systemadministratoren. In diesem Keller waren riesige Rechner aufgebaut, und Klimaanlagen surrten
um die Wette. Vor Monitoren saßen gebrechlich und ausgemergelt wirkende Gestalten und murmelten unverständliche Formeln vor sich hin, während sie endlose Buchstaben- und Zahlenkolonnen in die Tastaturen hämmerten. Ich war mir damals schon sicher, dass sie Worte wie »Tageslicht«, »frische Luft«, »Feierabend«, »Wochenende«, »Urlaub«, »soziale Kontakte« oder »Familie« noch nie in ihrem Leben gehört hatten. Neben ihnen auf den Tischen standen Becher mit abgestandenem Kaffee und türmten sich die Überreste von Fastfood, zerknautschte Colaund Red-Bull-Dosen und zentnerweise bedrucktes Papier. Die Stapel schienen sekündlich höher zu werden, denn aus ungefähr hundert Druckern quoll unermüdlich mehr; es wurde kurz angeschaut und dann auf die Stapel gelegt. Ab und an erhob sich einer der Männer, um sich in die Mitte des fensterlosen Raumes zu begeben und dort mit kreischenden Lauten auf einen von der Decke hängenden Sandsack einzuboxen. Nach einigen Minuten hatte er

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