Saugfest
jeder. Nein, bei mir ist es … «
Ich starte den Motor und lege den ersten Gang ein. Der Heuler hechelt mir von der Rückbank aus ins Ohr, und Ali redet sich um Kopf und Kragen.
Wenn es hier einen Baum gäbe, auf der Stelle würde ich mit Vollgas dagegen fahren. Mit Vollgas, so wahr ich Helene Messmer heiße.
14
Während Ali von einer selbstgeangelten Forelle schwärmt, die mit Brunnenkresse und französischem Meersalz gefüllt ist, und mir versichert, dass gedämpftes Kohlrabigemüse dazu das absolute Nonplusultra sei, rufe ich die Auskunft an, weil ich die Nummer von Goske van Reckenberg herauskriegen möchte. Die Frau am anderen Ende der Leitung muss die Schwester von dieser Marktforschungsfrau sein, die mich kürzlich nach Dingen auf einer Skala von eins bis zehn gefragt hat, dauernd macht sie blöde Witzchen, über die ich natürlich überhaupt nicht lachen kann, auch nicht ansatzweise. Auf blöde Sprüche wie »Da wollen wir doch mal sehen, wo der kleine Schlingel sich versteckt hat« oder »Den werden wir schon finden, der braucht sich gar nicht zu ducken« bin ich noch nie abgefahren.
Aber sie findet ihn tatsächlich. Er muss es sein, denn es ist der einzige Eintrag. Ich kann mein Glück kaum fassen – Goske wohnt auch nicht mehr in Waldmichelbach, sondern in Buxtehude, was natürlich viel näher ist, als von Schleswig-Holstein aus in den Odenwald zu gurken. Buxtehude liegt gerade mal so fünfzig Kilometer südlich von Hamburg, und da werde ich jetzt hinfahren, möglicherweise Ali dort aussetzen und den Heuler, der an meiner Nackenstütze herumkaut, gleich mit, beide ein paar Mal um sich selbst drehen, damit sie die Orientierung verlieren, um dann wiederum Goske einzupacken und mitzunehmen. Wenn ich in Buxtehude ankomme, werde ich wahrscheinlich so entnervt sein, dass ich Goske unverzüglich narkotisiere, weil ich noch mehr Geschwätz einfach nicht ertragen kann.
» … ich werde meinen Forellen auch Namen geben, damit sie sich bei mir wie in einer Familie fühlen. Ich muss nur noch mal darüber nachdenken, wie Fische so heißen. Vielleicht benenne ich sie nach Comicfiguren, gut möglich, dass ich einen von ihnen Simpson taufe, oder Idgie Threadgoode. Was meinst du?«
»Idgie ist keine Comicfigur. Das ist die Blonde aus
Grüne Tomaten
.«
»Und wenn schon«, sagt Ali fröhlich. »Dann tue ich eben so, als sei das der Name einer Comicfigur.« Er überlegt kurz, dann geht es weiter. »Warum hat eigentlich der eine schlechte Zähne und der andere nicht? Kannst du mir das erklären?«
Wenn ich es nicht besser wüsste, ich könnte schwören, dass meine Mutter neben mir sitzt.
»Keine Ahnung.« Die Zeit verrinnt wie Kaugummi, wir sind noch nicht mal an Hamburg vorbei.
»Das ist doch unfair. Es gibt Leute, die müssen überhaupt nie zum Zahnarzt, und dann gibt es wieder welche, die haben ständig Karies oder was anderes. Warum ist das so? Und dritte Zähne gibt es irgendwie auch kaum noch. Alle lassen sich gleich Kronen machen und Brücken.«
»Keine Ahnung.« Ich schaue kurz zu Ali rüber, der sich noch fester in seine gelbe Tischdecke wickelt und mich mit großen, schwarzen, dichtbewimperten Augen anstarrt, als wüsste ich die Lösung für alle grausamen Probleme dieser schlechten, schlechten Welt.
»Wie ist man eigentlich auf den Namen Ali gekommen? Nur wegen der schwarzen Haare?«, frage ich, weil ich nichts mehr über Forellen und Zähne hören möchte.
»Na, weil sie alle finden, dass der Name am besten passt. Sie sagen, ich sähe türkisch aus. Also wie ein Türke, verstehst du?«
»Ja, Ali, ich weiß, was ein Türke ist, stell dir vor.«
»’tschuldigung«, sagt Ali beleidigt. »Ich wollte ja nur erklären. Ich glaube ja ehrlich gesagt nicht, dass ich Türke bin. Wieso hab ich Mutter dann in Frankreich verloren? Dann hätte ich sie doch in
Ankara oder in Izmir verlieren müssen. So einfach kann man es sich doch auch nicht machen. Wenn es bloß nicht so lange her wäre, dann würde ich mich auf den Weg machen nach Frankreich und sie suchen, verstehst du?«
»Ja, Ali.« Gleich schneide ich ihm die Nase ab.
»Na, weil ich sie doch in Frankreich verloren habe. Was gibt es denn da nicht zu verstehen?«
Es interessiert ihn überhaupt nicht, ob ich ihm zuhöre oder nicht. Ich versuche etwas anderes. »Was machst du eigentlich beruflich?« Da – Hamburg! Hoffnung naht.
»Ach, da muss ich sehr, sehr weit ausholen. Das ist eine lange Geschichte. Ich hab nämlich so einiges gemacht in
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