Saugfest
ihn aus der Fassung zu bringen, aber er fängt an, mit Friederike ein Lied über jemanden zu singen, der nach einem Frühlingsfest im Allgäu alkoholisiert Auto gefahren ist und Schlangenlinien in Form einer sich im Verdauungsprozess befindenden Boa Constrictor hinbekam, was wiederum mich aus der Fassung bringt. Goske entfernt eine künstliche Made aus seinem Bein und schlägt vor, dass ich sie mir als Talisman an den Rückspiegel hänge, so wie das manch stolze Mutter mit den Erstlingsschuhen ihres Neugeborenen tut, und Ali weint mit dem Heuler leise vor sich hin und sagt zu ihm: »Wenigstens habe ich dich.« Und dann ruft Ali: » HALT AN ! UM
GOTTES WILLEN ! HALT ! AN !«
»Ich werde nicht anhalten, Ali«, schnell beschleunige ich auf hundertfünfzig. »Ich halte erst an, wenn wir da sind.«
» ES IST TOTAL WICHTIG ! SCHAU DOCH MAL , WAS PASSIERT IST !«
Es gibt Situationen im Leben, da wünscht man sich Situationen im Leben herbei, die der Situation im Leben, die gerade stattfindet, nicht ähneln. Allerdings scheine ich die Einzige zu sein, die so empfindet, der Restinhalt des Autos ist vor Verzückung geradezu geblendet, man weiß gar nicht, wer sich am meisten freut. Ich für meinen Teil bin jedenfalls so weit, dass ich mich nicht mehr darüber aufregen werde, wenn ich irgendwann Altersflecken bekomme. Nein, diese Tatsache wird mich nicht mehr aus der Bahn werfen und etwas anderes auch nicht.
Mein Taxi ist im Arsch, aber so was von. Verzweifelt atme ich ein
und aus, um eine beginnende Hyperventilation im Keim zu ersticken. Warum habe ich damals die Ausgabe für Ledersitze gescheut? Jetzt bekomme ich die Quittung dafür. Es ist zum Ausder-Haut-Fahren.
»Guck mal, das ist die Tante Helene. Die hat dich total lieb.« Ali presst mir etwas in den Nacken, und ich nehme mit stoischer Gelassenheit hin, nun auch noch als Tante tituliert zu werden. Was würde Protest denn auch nützen?
Der Heuler hat gerade Junge geworfen. Und zwar sieben Stück.
17
»Ich dachte, der Heuler sei ein Rüde«, ist alles, was ich schließlich herausbringe. Weil ich aber langsam durchdrehe, sage ich es andauernd und immer in derselben Tonlage. Wie ein Vollidiot. Jedenfalls ist der Heuler jetzt wieder rank und schlank und braucht kein Laufband mehr. Dieses Problem wäre also schon mal gelöst.
»Satan. Er heißt Satan. Satan ist wahrscheinlich eine Fähe«, sagt Ali stolz. »Das ist dann ein weiblicher Wolf. Dem Herrgott sei Dank, alle sind gesund.«
»Bist du Tierarzt?«, fragt Goske interessiert.
»Das nicht, aber ich kenne mich unheimlich gut mit Wölfen aus.« Seit wann haben Wölfe Kiemen?
»Mit Maden aber nicht«, sagt Goske resigniert, scheint aber auch gleichzeitig froh zu sein, sich einbringen zu können.
»Normalerweise trägt eine Fähe maximal 75 Tage«, erklärt uns Ali, und wenn er diese Tatsache jetzt mit der Tragezeit irgendwelcher Forellen vergleicht, wird
er
getragen, und zwar waagerecht in einen Sarg. »Ach, ist das alles schön. Die kleinen Wölfe sind anfangs ja noch taub und blind, erst nach einiger Zeit öffnen sie die Augen. Ach, wie freue ich mich.« Er hat die Welpen bereits in die gelbe Tischdecke gewickelt, davor aber natürlich nicht saubergemacht. Hauptsache, die Welpen haben es warm und fühlen sich in meinem Taxi wohl. Und ich hoffe, die Nachgeburt auch. Und was da sonst noch alles rumliegt. Ich will es gar nicht wissen. Glücklicherweise sind es bis zum Keller nur noch einige Kilometer. Ich trete das Gaspedal durch. Je schneller wir da sind, desto eher werde ich mich hoffentlich beruhigen.
»Tulach Ard! Tulach Ard!«, schreit William Wallace, als wir eintreffen. Wir mussten uns erst noch mit Hagen und Anselm auseinandersetzen, die meinten, wir könnten nicht alle gleichzeitig in den Fahrstuhl steigen, weil wir die Personenhöchstzahl überschreiten würden. Mein Einwand, dass Welpen ja nicht als Personen zählten und außerdem pro Person weniger als fünfhundert Gramm wögen, wurde nicht gelten gelassen. Mein Einwand, dass die Modems, die Hagen und Anselm bei sich trugen, mehr wögen als alle sieben Welpen zusammen, galt ebenfalls nicht. »Wir tragen die Verantwortung«, sagte Anselm, während er Modems trug.
»Tulach Ard!«, wiederholt William, der es nicht gut findet, dass ihm niemand Tribut zollt. Es fragt auch keiner, was »Tulach Ard« im Einzelnen bedeutet, was William noch zorniger macht. Mir muss er es nicht erklären, ich weiß, dass »Tulach Ard« der Kampfesruf des
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