Saugfest
ich mich schon an diesen Unsinn erinnere, den sie nie richtig ausgeführt haben. Aber ich mag jetzt nicht über Vampire sprechen, weil ich nun mal nicht gern über etwas spreche, was es gar nicht gibt.
»Die guten und die schlechten Vampire«, fängt Hubertus an, und um ihn ruhigzustellen, entschließe ich mich, doch schnell zu sagen: »Ach, jetzt erinnere ich mich, richtig, so war es«, und Hubertus nickt zufrieden.
»Möchtest du denn wirklich, dass die ganzen Leute, die auf deiner Liste stehen, dieses Schicksal ereilt? Magst du nicht mal ein wenig darüber nachdenken, auch über
dich
?«
»Mein lieber Hubertus«, ich schnaube erregt auf. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht darüber nachgedacht, dass ich mal über mich nachdenken sollte, und damit bin ich ganz gut gefahren. Es gibt für mich absolut keinen Grund, jetzt damit anzufangen. Da kannst du mir jetzt predigen, was du willst, und du kannst machen, was du willst. Hast du mich verstanden?«
Hubertus schaut mich an, kommt einen Schritt näher, umgreift mit beiden Händen meine Schultern, zieht mich an sich und beginnt mich zu küssen. Einfach so. Zuerst will ich ihn wegstoßen, weil ich mich überrumpelt und auch ein bisschen vorgeführt fühle, aber dann muss ich leider feststellen, wie gut sich das anfühlt. Wäre ich in einem Julia-Roman, ich würde jetzt schreiben: ›Meine Knie wurden weich, und ich ließ mich hingebungsvoll in seine Arme sinken.‹ Da ich mich aber in keinem Julia- oder meinetwegen auch Baccara-Roman befinde, schließe ich einfach nur die Augen, lasse es zu, dass meine Knie weich werden, und sinke hingebungsvoll in Hubertus’ Arme. Und wünsche mir etwas, das an Theatralik nicht zu überbieten ist: dass dieser Moment nie aufhört. Ich glaube, mein Herz flattert ein bisschen, aber das kann auch an meinem Blutzuckerspiegel liegen. Ich hab ja Ewigkeiten nichts gegessen. Aber es ist mir egal. Ich habe ja auch überhaupt keinen Hunger, noch nicht mal Appetit. Na ja, jedenfalls auf nichts zu essen. Auf Hubertus schon. Er ist so muskulös, so
männlich, so … na halt so eben. So wie er war vorher noch keiner. Aus welchen Gründen auch immer schießen mir ganz, ganz viele Kopfbilder durch mein noch nicht aufgeweichtes Hirn. Hubertus und ich gemeinsam während eines Herbstspaziergangs im Wald, man riecht den nahenden Regen, sammelt trotzdem rasch noch ein paar Kastanien und Laub, das man später dekorativ in der gemütlichen Wohnung verteilen wird, um eine heimelige Wir-sindzu-zweit-Atmosphäre zu verbreiten, während Holzscheite im offenen Kamin oder von mir aus auch in einem Kaminofen vor sich hinbrennen und man deswegen Heizkosten spart. Wie herrlich das wäre! Ich müsste mich nie mehr mit den Heizungsablesern herumärgern, die immer behaupten, dann und dann ganz sicher zu kommen, was aber nie stimmt, weil sie grundsätzlich zu spät sind und dann noch blöd grinsen, während ich mir zusammenrechnen kann, wie viel Euro mir deswegen durch die Lappen gegangen sind, weil ich, anstatt Fahrgäste zu transportieren, in meinen vier Wänden herumgesessen und Erbsen gezählt habe.
Und das jedes Jahr, jedes Jahr, jedes Jahr aufs Neue.
Mit voller Wucht werde ich plötzlich von einem Gefühlsausbruch überwältigt und habe Empfindungen, die ich vorher noch nie, noch nie, noch nie in meinem Leben hatte. Es ist ein warmes, fast heißes Gefühl, es knallt in meinen Brustkorb und verteilt sich dann im ganzen Körper, sogar in meinen Zehen kribbelt es auf einmal. Ist denn das zu fassen? Was ist das denn? Ich möchte gern meine Schuhe ausziehen und mich an den Zehen kratzen, aber wie würde das denn jetzt aussehen? Und das Gefühl bleibt, bleibt, bleibt, es wird immer mehr. Mir geht es so gut, so gut, so gut, ach bitte, bleibt das Gefühl für immer? Ich bezahle auch dafür! Ich verspreche es! Das Gefühl sorgt dafür, dass ich daran denke, wie es wohl wäre, mit Hubertus Weihnachten zu feiern, und ganz plötzlich kommt mir die Idee, Orangen mit Nelken zu spicken, weil das so gut riecht. Ich habe zwar vorher noch nie Orangen mit Nelken gespickt, aber man könnte ja mal damit anfangen. Vielleicht werde ich auch gerade wahnsinnig, oder eine bipolare
Störung macht sich in mir breit, aber Gedanken wie »Kunstschnee an den Fensterscheiben«, »Strohsterne basteln« und »Maltes Kirchenbasar selbstgebackene Mandelstollen spenden, die leicht mit Puderzucker bestäubt sind« schießen mir wie Schrotkugeln durch den Kopf. Hat mir vielleicht jemand
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