Saugfest
Sitzenden und grummeln vor sich hin. Wenn mich einer von denen anfasst, feiert sein Arsch Kirmes. Ich mag es einfach nicht, wenn Menschen zu nah an mich herankommen, sicher gibt es da Ausnahmen, so wie es sie vor einer Stunde gegeben hat, aber im Normalfall möchte ich bestimmen, wer mich anfasst und wer nicht. Und damit bin ich bislang ganz gut gefahren.
Goske redet sich langsam in Rage. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie grausam Helene zu mir gewesen ist. Zu mir, dem Herbergssohn. Es ist sowieso nicht gerade einfach, jede Woche mit neuen Schulklassen konfrontiert zu werden. Aus den unterschiedlichsten Bundesländern. Die Bayern gehen ja noch, weil sie gottesfürchtig sind und wissen, was sich gehört, aber mit den Hessen geht es schon los. Unflätig, sag ich nur. Am schlimmsten sind die aus Nordrhein-Westfalen. Allein schon dieser Singsang-Dialekt. Das macht einen verrückt. Da wird man wahnsinnig. Aber ich habe stets versucht, mein Schicksal mit Fassung zu tragen –«
»Wohl eher mit Grausamkeit«, unterbreche ich ihn. Wie weibisch er sich verhält. So wie eine typische Leserin eines Frauenmagazins, in dem es nur um Ernährungsumstellung, Hinzuziehen von Psychologen und Wellnesswochenenden geht, darum, wie man trotz Ehe glücklich bleibt und dass man es zulassen soll, wenn die Tatsache, einen Gugelhupf so zu stürzen und aus der Backform zu lösen, dass nichts vom Teig darin kleben bleibt, einen irre stolz macht, weil das gut fürs Selbstwertgefühl ist. Immer, wenn ich Frauen sehe, die in diesen Zeitschriften blättern, muss ich einfach weiter hinschauen, weil sie beim Umblättern und Studieren der Seiten so unfassbar betroffen aussehen. Und manchmal nicken
sie und denken: ›Ja, richtig, so geht es mir auch mit Tom, nie unternimmt er was mit mir‹ oder ›Die Fachleute haben recht. Ich sollte auf tierische Eiweiße ganz verzichten. Der Mensch überhaupt sollte auf tierische Eiweiße verzichten und nur etwas Salat und gedünsteten Fenchel knabbern, das genügt. Man sollte keinen Raubbau an seinem Körper und seinem Stoffwechsel treiben. Wir werden ja nicht jünger mit den Jahren.‹ Einmal, als ich im Wartezimmer des Osteopathen meiner Mutter saß, blätterte ich in diesen Zeitschriften und war schlicht fassungslos: Es stand in allen dasselbe. Zwar nicht im exakt gleichen Wortlaut, aber vom Grundsatz her schon. Ich blätterte weiter und weiter und mich letztendlich durch alle Ausgaben, weil es mal wieder länger dauerte – meine Mutter diskutierte mit dem Mann, ob es Knochen wirklich gibt –, und stellte fest, dass die Themen sich ständig wiederholten und jeder zu allem seinen Sermon dazugab. Wie viele Millionen Frauen, habe ich mich gefragt, kaufen sich wöchentlich oder zweiwöchentlich oder monatlich immer wieder diese Zeitschriften, um zum achthundertsten Mal zu lesen, dass bei grauem Haar eine Tönung hilft (ach wirklich?), die aber bitte biologisch abbaubar sein muss? Und dass man sich im Herbst wohlfühlt, wenn man erst an der rauen Luft spazierengeht und güldenes Laub sammelt, um sich dann zu Hause ein Schaumbad einzulassen, um einer beginnenden Erkältung vorzubeugen. Wenn man dann noch in der Wanne liegend etwas von Jane Austen liest und im Hintergrund Antonio Vivaldis
Vier Jahreszeiten
laufen, hat auch der größte Virenangriff keine Chance mehr. Na ja, ist ja eigentlich ganz schön, das mit dem güldenen … verdammt!
Jedenfalls erinnert mich Goske an diese verfluchten Weiber. Wäre er eine Frau, ich würde meine linke Hand darauf verwetten, dass er sich aus den Magazinen auch noch die eingeklebten Pröbchen herausreißen und in einer Badezimmerschublade horten würde. Jetzt weint er fast. Friederike macht leise »Ommm, ommm« und wiegt sich vor und zurück, ich nehme an, dass sie sich gerade aufregt
und beruhigen muss. Soeben ist Goske fertig geworden mit den Schulklassen aus Nordrhein-Westfalen, die alle Menschen hassen, die Karneval und Kölsch nicht zu würdigen wissen, er schwenkt zu den Baden-Württembergern, die auch nicht besser sind, wenn auch anders, und so geht es mit jedem Bundesland weiter. Ich danke Gott, dass Deutschland damals noch in Ost und West geteilt war, sonst hätte ich mir jetzt noch die Nachteile der Sachsen und der Thüringer anhören können und dass gerade die Sachsen schon in jungen Jahren rechtsextreme Züge hatten, was ihn, Goske, noch fertiger gemacht hätte, darauf nun wieder verwette ich meine rechte Hand. Die ganze Zeit geht es nur um ihn und welche
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