Saugfest
psychischen und auch physischen Schäden er im Laufe der Jahrzehnte davongetragen hat. Sogar seine Ehe ist gescheitert, und das nur, weil Goske ein Herbergssohn aus Waldmichelbach ist.
»Manchmal«, erzählt er mit brüchiger Stimme, während die anderen im Kreis hocken und ihn ansehen wie einen Märchenonkel, »darf ich meinen dreijährigen Sohn für ein paar Stunden sehen. Dann schauen wir uns gemeinsam Bilderbücher an. Fips, also mein Sohn, nein, nein, er heißt nicht Fips, wir nennen ihn bloß so … herrje, jetzt fällt mir sein richtiger Name gar nicht ein, wie heißt er denn nur? … also, Fips jedenfalls wird später bestimmt mal einen handwerklichen Beruf ergreifen. Es gibt da nämlich eine Bilderbuchserie mit Berufen, und Fips interessiert sich nur für die Handwerksberufe. Zum Beispiel für
Bei uns auf der Baustelle
, da wird der Tagesablauf der Bauarbeiter erzählt, das ist total anschaulich gemacht. Und die ganzen, doch sehr großen Fahrzeuge werden sehr detailliert beschrieben und natürlich auch, wofür man sie braucht. Und was ein Kranführer so macht. Das ist für die Entwicklung eines Kindes wahnsinnig wichtig, und ich finde es sehr, sehr gut und pädagogisch von mir, dass ich mir die Zeit nehme, mit meinem Kind visuelle Ausflüge in die Berufsalltage anderer zu unternehmen.« Die anderen nicken zustimmend und gerührt.
Ja, Goske, das ist total pädagogisch und dabei auch noch irre wertvoll. Schau dir ruhig mit deinem Sohn Baustellenbilderbücher an, das ist viel wichtiger, als seinen richtigen Namen zu kennen, du Trottel. Vielleicht bin ich ja mal irgendwann so nett und besorge dir noch ein paar interessante Berufebilderbücher.
Wir von der Dixiklo-Reinigung
vielleicht oder
Wir in der Pathologie
, eventuell auch
Wir auf dem städtischen Schlachthof
. Da wird Fips unheimlich viel lernen. Wir werden zwar nie wissen, wie der Junge wirklich heißt, aber er lernt fürs Leben, wird seinen richtigen Namen auch irgendwann vergessen und in der Schule gehänselt und gemobbt werden, weil man definitiv nicht Fips van Reckenberg heißen darf. Das ist ein Hundename. Aber für alles andere muss man ja dankbar sein. Ich sehe Fips’ strahlende Kinderaugen schon vor mir, die wissensdurstig auf die festen, kotzebeständigen Pappseiten starren, um zu erfahren, wie genau man ein vollgeschissenes Dixiklo abtransportiert und saubermacht, nachdem es an einem Samstagabend von dreitausend Schützenfestbesuchern aufgesucht worden ist. Die Hände, die vor Freude klatschen, wenn sie ein von zarter Illustratorenhand gemaltes Bild sehen, auf dem eine Kuh mit dem Bolzenschussgerät Bekanntschaft macht. Hurra, hurra!
Aber Goske ist gar nicht so dumm, das muss ich ihm lassen: Er zieht geschickt die Gegner auf seine Seite. Hier und da werde ich schon verächtlich angestarrt, noch mehr, nachdem er erzählt, dass ich ihm das Nasenbein angebrochen hatte, weil er mir keinen Nachschlag von der Erbsensuppe geben wollte, was natürlich jeder normale Mensch hätte nachvollziehen können, die komischen Vögel hier aber selbstredend nicht.
Nachdem Goske fertig ist, sind alle unmerklich von mir abgerückt, und ich hocke isoliert wie ein armer Sünder da. Selbst Hubertus scheint meine Nähe nicht mehr zu suchen.
»Sie ist schlecht«, höre ich sie tuscheln. »Eine Missgeburt« ist noch der harmloseste Ausdruck.
Allein auf weiter Flur beginne ich, mich unwohl zu fühlen. Es
stimmt ja alles, was sie sagen, aber ich hatte immerhin auch Gründe für mein Handeln.
Niemand hilft mir. Sogar die Weißhemden scheinen mich zu hassen. Sie geben wie immer dämliche Laute von sich. Ich möchte, dass zumindest die Weißhemden zu ihren Computern zurückgehen und aufhören, mich grenzdebil anzustarren. Bitte. Oder sie sollen sich auf dem Laptop die Tudors angucken und nach Regiefehlern suchen oder sich über die gottesfürchtige Katharina von Aragón auslassen, die den ganzen Tag nur mit dem Herrn gesprochen hat und das R so furchtbar rollt, dass es einen nach zehn Minuten kirre macht. Ich möchte nur am Rande bemerken, dass Malte Hochachtung vor Katharina hat und gern so wäre wie sie, was aber leider nicht geht, weil er nie mit Heinrich dem Achten verheiratet war. Ich glaube, dass Malte sehr gerne mit Katharina befreundet gewesen wäre. Sie hätten so schön zusammen beten können. Malte möchte auch irgendwann mal nach Peterborough zum Grabe von Katharina reisen, aber erst, wenn die Kinder alt genug sind, um das alles auch zu verstehen. Lange schon
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