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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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aber nein, meine Entscheidung steht fest, sehe ich aus den Augenwinkeln drei Weißhemden, die mir vorher noch gar nicht aufgefallen sind. Wie Raubtiere stürzen sie nach vorn in meine Richtung, und erst denke ich, dass sie mich aufhalten wollen und gehe schneller, aber ich scheine gar nicht das Ziel zu sein. Sie umkreisen
Hubertus, reißen ihn nieder, er fängt an zu schreien, als sei der Leibhaftige hinter ihm her, und sie hängen plötzlich über ihm, drücken ihn zu Boden und fangen an, mit den Händen herumzufuchteln, dabei vergraben sie ihre Köpfe in seinem Hals. Es sieht so aus, als würden sie ihn beißen.
    Bei einem der Weißhemden kann ich die Vorderzähne erkennen. Sie sehen verdammt echt aus.

19

     
    In weniger als einer Nanosekunde ist der Teufel los im Keller. Alle spritzen durcheinander, Williams Schottenrock fliegt im Eifer des Gefechts hoch, und man kann einen Teil seiner Genitalien sehen. Ich hatte mal davon gehört, dass Schotten unter den Röcken keine Unterwäsche tragen, glaubte das aber bis heute nicht. Davon abgesehen ist William ja auch gar kein Schotte, sondern Systemadministrator, was sich andererseits nicht gegenseitig ausschließt.
    Hubertus windet sich unter den Weißhemden wie ein Zitteraal. »O Gott!«, schreit er. »Hilfe! Das darf auf gar keinen Fall passieren! Jetzt tut doch was!«
    Ich rufe irgendwas davon, dass ich darüber nachdenken werde, was ich tun soll, aber das nützt Hubertus auch nichts. Also stürze ich mich todesmutig und ohne einen wirklichen Plan ins Getümmel und versuche, die Weißhemden davon abzuhalten, Hubertus weiter zu beißen. Überflüssigerweise schreie ich auch noch: »Heuler, fass!« Aber der Heuler hat sich schon aus dem Staub gemacht, bevor überhaupt etwas passiert ist. Tiere wittern ja Gefahr vorher. Und Wölfe bestimmt erst recht.
    Während ich verzweifelt auf die Umstehenden einschlage, stolpere ich und liege auf einmal neben Hubertus. Er streckt die Arme nach mir aus und zieht mich näher an sich. Einerseits ist mir das sehr unangenehm, weil ich so viel Nähe auf einen Schlag einfach nicht gewohnt bin, andererseits beginnt mein Herz zu klopfen, und ich habe wieder dieses schöne Gefühl.
    Die Weißhemden scheinen Respekt vor mir zu haben und lassen von ihm ab. Sie wirken, aus welchen Gründen auch immer, erleichtert.
Zwei von ihnen verjagen mit den Händen herumschwirrende Insekten, die wohl vor Schreck aus einem Loch geflogen kamen, weil es hier doch sehr laut war.
    »Helene«, krächzt Hubertus. »Helene … ich bin … ich bin … «
    »Ich helfe dir«, sage ich. »Ich lass dich nicht alleine.« Das habe ich vorher noch nie zu jemandem gesagt, noch nicht mal zu der alten Frau, die ich mit dem Taxi mal angefahren hatte und die dann auf der Straße lag. Was ging sie auch einfach über den Zebrastreifen, ohne mal nach links oder rechts zu schauen?
    »Die haben mich fast … fast … «, keucht Hubertus und hustet.
    William kommt angerannt und ist außer sich. »Wie konnte das passieren? In Schottland wär das nicht passiert«, wiederholt er dauernd.
    »Scheiße«, sagt Hubertus. »Verdammt nochmal.«
    »Das ist doch nicht zu glauben.« William schaut böse in der Gegend herum. »Dies hätte nicht passieren dürfen. Wer hatte Dienst? Sigrun!«
    »Ich war in Gedanken«, sagt Sigrun mit zitternder Stimme. »Ich habe darüber nachgedacht, wie man das Kaminbesteck am besten reinigt. Ich hab sie nicht kommen sehen. Ehrlich nicht.«
    »Ist denn das zu fassen! Jetzt haben wir den Salat.« William starrt Sigrun böse an, dann geht er zu ihr und zischt ihr etwas ins Ohr – möglicherweise keltische Flüche, die Sigrun in einen Wischmopp oder eine Graugans verwandeln sollen. Sigrun jedenfalls wird rot und hebt nach ein paar Sekunden entschuldigend beide Hände, woraufhin William von ihr ablässt und resigniert den Kopf schüttelt.
    Ich kann gar nichts anderes tun, als Hubertus anzustarren. Schon wieder versuche ich, das Gefühl zu deuten. Wäre ich drogenabhängig, könnte ich jetzt irgendwas von einer besonders guten Qualität des Heroins faseln, aber ich habe noch nie Drogen genommen, auch weil man davon zum Teil gute Laune bekommt. Ja, ich hätte auch LSD oder so nehmen können, klar, weil man da, das habe ich gelesen, teilweise komplett ausrastet und ausgestorbene Spinnenarten
dabei beobachten kann, wie sie in Steckdosen kriechen oder sich einen Cocktail mixen, aber ich bringe Tabletten einfach nicht runter. Meine Mutter hat mal behauptet, das läge an

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