Saugfest
frage ich mich, was es an einem Grab zu verstehen geben soll. Ein Grab ist ein Grab. Punkt.
Aber die Weißhemden scheinen die kleine Diskussionsrunde viel interessanter zu finden, als eine Serie zu schauen; immerhin spielt sich hier gerade das wahre Leben ab.
Ich stehe auf und sage: »Das ist mir jetzt wirklich zu blöde hier. Ich gehe.« Das werde ich auch tun. Natürlich ist es schade, dass ich meine Opfer dann nicht mehr ihrer gerechten Strafe zuführen kann, aber ich kann das nicht mehr ertragen. Ich will mir nichts mehr anhören und mich nicht mehr rechtfertigen müssen. Schluss damit.
Zottel lacht aus irgendeiner Ecke laut auf, vielleicht kitzeln ihn ja seine Haare.
»Nein«, Hubertus steht wieder vor mir. »Das ist leider nicht möglich. Wir haben ja eine Vereinbarung.«
»Welche Vereinbarung?«
»Die, dass du bei uns bleibst. Wir haben sie vor kurzer Zeit getroffen. Wenn du jetzt gehst, machst du einen großen Fehler.«
»Moment mal. Ich erinnere mich an das Geschwafel von Gehen und dann alles vergessen und für immer. Aber es war doch nie die Rede davon, dass ich, wenn ich sage, dass ich bleibe, für immer bleibe. Ich wollte vorläufig bleiben, vorläufig. Man kann seine Meinung ja auch immer noch ändern, schließlich leben wir hier in einem verdammten Rechtsstaat.«
»Leben … «, gackert William vor sich hin.
»Halt du doch deine blöde Klappe«, er geht mir schon wieder auf die Nerven. »Geh Schottenröcke nähen oder balsamiere dich ein oder sonst was.«
»Du scheinst nicht zu verstehen«, mischt Sigrun sich ein und stemmt die Hände in die Hüften. »Hubertus, sie ist doch eine Updmenaem. Offenbar hast du ihr noch nicht alles so erklärt, dass sie keine mehr ist.«
»Dafür war noch keine Zeit.« Hubertus denkt nach, öffnet den Mund und will etwas sagen, überlegt und schließt den Mund dann wieder. Hat er Angst vor mir?
»Ha!«, ruft Sigrun theatralisch. »Zeit haben wir hier im Überfluss. Wenn wir etwas haben, dann Zeit. Machst du ihr das jetzt bitte mal klar? Sag ihr, wer wir sind, was wir machen und dass das hier anders ist als da draußen. Sag ihr, dass ich ungefähr siebenhundert Jahre alt bin und der da«, Fingerzeig auf Ali, »ungefähr dreihundert.«
»Wer weiß das schon so genau?«, jammert Ali herum. »Meine Mutter könnte es wissen. Doch die ist leider nicht hier.«
»Na gut«, Hubertus räuspert sich verlegen. »Was uns hier betrifft, es ist also so, dass … «
»Ja, ja, ich weiß, ihr seid Vampire. Blutrünstige Blutsauger, gute und schlechte und so weiter und so fort.«
»Ich hab den Eindruck, sie nimmt uns gar nicht ernst«, sagt William traurig. Damit hat er recht.
»Doch, doch.« Ich nicke ihm zu. »Ich hab auch totale Angst vor
euch und vor allem anderen auch. Vor allem vor dem blutrünstigen Wolf.« Der Heuler, der mir zu Füßen liegt und gerade seine Jungen säugt, die wie kleine Klumpen an seinen Zitzen hängen, hört seinen Namen und glotzt mich treudoof an.
»Man hätte vor allen Dingen wissen sollen, dass er kein Wolf ist, sondern eine Wölfin«, werfe ich ein, weil ich diese Tatsache wirklich unglaublich finde. Einfach davon auszugehen, dass er ein Rüde ist, ohne mal nachzuschauen, finde ich schon frech.
»Ich weiß doch, dass Satan eine Wölfin ist«, sagt Hubertus.
»Ist ja auch egal«, entgegne ich, weil es wirklich egal ist. Hauptsache, ich kriege die Jungen nicht aufgebrummt und muss als Pflegemutter agieren. Ich habe auch keine Lust, dass ein Fernsehteam bei mir vorbeikommt, wenn es die Runde macht, dass eine Taxifahrerin Wolfsjunge großzieht, und ich dann für KiKa dabei gefilmt werde, wie ich die Kleinen mit Babynahrung und einer Saugflasche aufpäpple, während sie voller Vertrauen in meinen Armen liegen. Bestimmt möchte das Fernsehteam dann noch, dass ich so dämliche Sachen sage wie: »Natürlich kommt man nicht mehr zum Schlafen. Aber das ist die Sache wert. Wölfen muss man doch helfen. Das ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Und sie haben doch niemanden außer mir. Ich möchte, dass noch viele, viele der nachfolgenden Generationen wissen, was Wölfe sind.«
Während ich mich langsam in Richtung Fahrstuhl bewege – langsam deswegen, weil ich aus welchen Gründen auch immer annehme, dass langsam gehende Menschen nicht so aussehen, als wollten sie vor etwas fliehen – und es auch gerade ein bisschen schade finde, dass ich, da ich ja nun gehe, gar nicht mehr von Hubertus geküsst werden kann, ach je, er ist schon ein toller Mann,
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