Saugfest
meiner Speichelproduktion, die nicht richtig funktionieren würde, so wie ja bei mir so gut wie gar nichts richtig funktioniere.
Warum habe ich meine Mutter eigentlich nicht auf die Liste gesetzt? Verdient hätte sie’s allemal.
Aber darüber werde ich jetzt nicht nachdenken, ich kann auch gar nicht. Es gibt Wichtigeres. Hubertus zum Beispiel. Das Gefühl zum Beispiel.
Irgendwie begreife ich gar nicht, was hier gerade passiert ist, soll heißen, ich bin mir der Tragweite der Situation offenbar gar nicht richtig bewusst, sonst hätte ich wohl etwas anders reagiert. Damit meine ich jetzt die Tatsache, dass Hubertus mit blutendem Hals vor mir liegt. Kein Mensch sonst würde bloß dümmlich grinsend neben ihm liegen und ihn anstarren wie ein Kammerjäger die dreißig Hornissennester, die er nach monatelanger Suche in einem maroden Fachwerkhaus endlich geortet hat.
Hubertus, der immer noch unter Schock steht, versucht, sich aufzusetzen, was ihm mit meiner Hilfe auch gelingt, und dann sagt er diesen Satz, der alles in mir endgültig in Aufruhr bringt. Er sagt: »Helene, ich liebe dich.« Danach verdreht er die Augen und sackt in sich zusammen.
In dieser Sekunde wird mir alles klar. Und das komische Gefühl kann ich auch endlich deuten.
Das. Ist. Liebe.
Und. Das. Mir.
Das. War. Vorher. Noch. Nie. Da.
Und. Jetzt?
Ich schreie: »Ich liebe dich auch, Hubertus, o ja, ich liebe dich auch!« Natürlich wollte ich das nicht sagen, weil ich das vorher noch nie gesagt habe, ich wollte auch nicht anfangen, laut zu schreien. Also so richtig laut. Ich bin verzweifelt und will nur eins: dass Hubertus aufwacht, aufsteht, meine Hand nimmt und
mit mir sein restliches Leben beginnt. Es wird ein schönes Leben, das weiß ich. Ich meine, zwei so schlechtgelaunte Menschen wie wir beide, das kann doch nur gutgehen! Bitte, bitte, ich werde auch ein guter Mensch und bin ein reuiger Sünder, tue Buße, finde gebleichte Haare super und will mich mit allen wieder vertragen.
Hubertus wacht und wacht nicht auf. Dabei ist er doch ein so starker Mann, das glaube ich zumindest. Er soll mit mir in Schleswig-Holstein lustwandeln und in eine Gartenwirtschaft einkehren, dort werden wir gedeckten Apfelkuchen mit Schlagsahne verspeisen, die ein erfinderischer Konditor mit einem perfekten Zimthauch veredelt hat, und wir werden ganz viel reden. Von mir aus schauen wir auch dem leichten Sommerregen zu, wenn es einen gibt, und dabei, wie sich einzelne Tropfen in Blättern sammeln. Wir freuen uns für die Natur, die Wasser nötig hat, und atmen den frischen Geruch ein, den der Regen mit sich bringt. Wenn es dunkel wird, warten wir auf Sternschnuppen und hoffen, dass dieser schöne Moment nicht vom Anruf der Zentrale wegen einer Sonderfahrt oder der Explosion eines Atomkraftwerks gestört wird. Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, aber Hubertus soll aufwachen. Wenn er möchte, kaufe ich sogar Duftkerzen für unsere Wohnung. Und tapeziere mein Schlafzimmer im Laura-Ashley-Stil. Ich besorge Geschirr, das zusammenpasst, und Gläser und Besteck. Einen Mörser, um Gewürze zu zerstoßen, mit denen ich den Lammbraten einreibe, wenn Hubertus gern einen möchte. Ich bin sogar bereit, mit Handarbeit zu beginnen, eine hübsche Bordüre am Küchenschrank, auf der »Ein eigner Herd ist Goldes wert« steht, schafft eine heimelige Atmosphäre. Ich gebe mich gerade selbst auf, aber es ist mir egal.
Von mir aus vertrage ich mich auch mit der Weiland und gehe zur Bank, um Wechselgeld zu holen, weil sie nicht wegkann, und ich helfe auch den I-Gitts und poliere Särge blank. Zu Isolde werde ich sagen, dass ich sie mag. Ja. Ich mag Isolde.
Aber Hubertus wacht nicht auf. Nichts tut sich.
Ein Kloß sitzt fest in meinem Hals, und ich bekomme kaum noch Luft.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Ich drehe mich um. Es ist Zottel.
»Ich glaube, jetzt bist du ziemlich schockiert, was?«
Nein, Zottel, wie kommst du denn darauf? Ich find das super, so wie’s ist. Ich mag diesen Schlag Menschen, auf die losgegangen wird, die dann unter Schock stehen und ohnmächtig werden. Aber das sage ich nicht. Ich sage gar nichts. Damit fahre ich bei Zottel immer noch am besten. Außerdem glaube ich, man kann machen, was man will, Zottel wird sich nie über etwas aufregen. Höchstens darüber, dass der Regen nicht lotrecht fällt.
»Wir wissen nicht, wann Hubertus wieder aufwacht«, Zottel wendet sich William zu, und der nickt ernst und ein Stück weit betroffen.
»Das könnte
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