Sauhaxn: Kriminalroman (German Edition)
klarer, die Drohung
von der Entzugsklinik spornte sie zusätzlich an. Sie wusste nun, was zu tun war.
Zufrieden
mit ihren Überlegungen klingelte sie nach der Schwester.
»Ich müsste
mal auf die Toilette«, sagte sie und machte ein unglückliches Gesicht.
»Oh natürlich,
ich bringe Ihnen sofort eine Bettpfanne.« Die fröhliche Schwester wollte wieder
verschwinden.
»Nein, bitte!
Ich kann nicht hier im Zimmer«, flüsterte Amalie.
»Aber Frau
Bachmaier!«
»Bitte.
Ich verspreche Ihnen auch hoch und heilig, ganz schnell zu machen.« Amalie blickte
unglücklich zur Seite.
Die Schwester
dachte einen Augenblick nach. »Ich weiß nicht recht«, zögerte sie. »Eigentlich sollte
ich Sie nicht unbeaufsichtigt lassen.«
»Aber ich
bin doch nur auf der Toilette. Was soll dort schon passieren?«, fragte Amalie.
Die Schwester
gab nach. »Ich begleite Sie. Wenn irgendetwas ist, rufen Sie und ich bin sofort
bei Ihnen.« Sie löste die Gurte um Amalies Hände und erklärte dabei: »Wissen Sie,
ich mache das normalerweise nicht. Wenn das Wort Entziehungskur fällt, hauen viele
Patienten ab. Aber ich denke, Sie haben eingesehen, dass es der richtige Weg für
Sie ist, nicht wahr?«
Amalie nickte
eifrig und die Schwester half ihr beim Aufstehen.
»Könnten
Sie mir vielleicht noch meine Tasche geben?«
Alarmiert
sah die Schwester auf.
»Da sind
meine Frauenutensilien drin«, sagte Amalie so verlegen wie möglich.
»Oh, natürlich.
Aber wir haben hier im Krankenhaus auch genug Binden.« Sie lächelte liebenswürdig.
Doch Amalie
hatte sich die Tasche schon geschnappt und bewegte sich Schritt für Schritt aus
dem Zimmer. Den Tropfständer hinter sich herziehend und die Schwester am Arm schlurfte
sie über den Flur. Die Toiletten waren ein kleines Stück den Gang hinunter und ein
Blick aus dem Fenster sagte Amalie, dass sie sich im ersten Stock befand. Es durfte
eigentlich nichts schiefgehen.
»Ich warte
dann hier«, erklärte die Schwester lächelnd und schob Amalie und den Tropf ins WC.
Amalie lächelte
zurück, schloss die Tür hinter sich und öffnete das Fenster. Sie spähte hinaus.
Perfekt. Direkt unter ihr befand sich das Vordach der Eingangshalle. Sie musste
sich nur ein kleines Stückchen herunterrutschen lassen, dann landete sie sanft auf
dem Glasdach. Von dort aus waren es bloß zwei Meter bis zu einer Buchsbaumhecke.
Amalie sah sich in Gedanken schon in Freiheit.
Beherzt
zog sie die Kanüle aus der Hand und klebte schnell das Pflaster darauf. Dann warf
sie die Reisetasche hinunter auf das Glasdach und stützte sich mit der rechten Hand
außen auf dem Fensterbrett ab. Innen zog sie das linke Knie nach, es folgten die
linke Hand am Fensterrahmen und schließlich der rechte Fuß. Die ungewohnte Anstrengung
verschlug ihr den Atem und Amalie musste eine Pause einlegen. Das Fenster war klein
und sie kam nur hindurch, indem sie stark ihren Bauch einzog.
»Frau Bachmaier?
Alles in Ordnung bei Ihnen?«, flötete die Schwester im Flur und Amalie schaffte
es gerade eben so ein Keuchen zu unterdrücken. Ihre Flucht dauerte mittlerweile
doppelt so lange wie geplant!
»Kleinen
Augenblick noch, bitte!«, rief sie über die Schulter. Dann zwängte sie sich weiter
durch die enge Öffnung. Mit hochrotem Kopf schaffte sie es schließlich, die Schulter-
und Brustpartie durchs Fenster zu quetschen. Sie entschloss sich, eine kurze Atempause
einzulegen.
»Sie brauchen
ziemlich lange, Frau Bachmaier!«, nörgelte die Schwester von draußen und Amalie
stimmte ihr aus vollem Herzen zu. So hatte sie sich die Sache nicht gedacht. Sie
hatte gehofft, innerhalb einer, vielleicht zwei Minuten vor dem Haupteingang des
Krankenhauses ein Taxi heranwinken zu können.
»Frau Bachmaier,
ich muss Sie bitten, sich zu beeilen. Sonst muss ich nachschauen kommen.«
»Moment!
Wirklich, nur einen Augenblick!«, rief Amalie verzweifelt und atmete aus. Das müsste
sie doch eigentlich schlanker machen, dachte sie und schob sich einen weiteren Zentimeter
vorwärts. Der Fensterrahmen schnitt ihr in die Hüfte und sie verlor den Halt auf
dem äußeren Fensterbrett. Mit dem Oberkörper in Freiheit, dem Unterkörper noch auf
der Krankenhaustoilette blickte sie nach unten.
»Mami, was
macht die dicke Frau da oben?«
Ach du meine
Güte, das hatte ihr gerade noch gefehlt.
»Mami, schau
doch mal, die Dicke da oben!«
Amalie wusste,
warum sie und Karl keine Kinder hatten.
»Frau Bachmaier!
Was machen Sie da drin?«
Amalie stemmte
ihre Hände gegen die
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