Savannah
diesen Kreisen ausgeschlossen. Und wo i ch hinkam und nach einer ehrli chen Arbeit gefragt habe, war es das Gleiche, denn die ganze Geschichte war in der Zeitung breitgetreten worden: Mädchen aus gutem Haus brennt mit einem Dieb durch, der noch während der Hochzeitsfeier festgenommen wurde.«
Pres öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder und suchte nach den richtigen Worten.
Sie schaute ihn weiter direkt an und so sah er, dass der Schmerz in ihren Augen ebenso intensiv war wie die Schmerzen, die er in den Gesichte rn der Soldaten auf den Schlachtfeldern in Pennsylvania, Virginia, Tennessee oder anderswo gesehen hatte. Er hätte sie gerne an der Schulter gefasst, aber die wirkte immer noch so zerbrechlich wie Glas und er fürchtete, dass sie bei der geringsten Berührung zerspringen würde. »Ich war damals erst sechzehn. Zu Burke konnte ich ja nicht mehr gehen und jemand anderen kannte ich nicht. Was blieb mir also übrig? Ich musste schließlich leben.«
»Das ist nun wahrlich keine Schande. Du hast einen Fehler gemacht - aber das ist menschlich. Willkommen im Kreis der menschlichen Rasse.«
Sie schaute ihn nachsichtig und erstaunt an. »Jedenfalls musste ich mit den Konsequenzen meines >Fehlers< - wie du es ausdrückst - fertig werden. Mein Leben hatte sich schlagartig geändert und dann starb auch noch Großmutter wegen dem, was geschehen war.«
Er runzelte die Stirn. »Wie kommst du denn darauf? Es ist normal, dass Großmütter sterben, Savannah. Du darfst dir nicht die Schuld für etwas geben, wofür du nichts kannst.«
»Es brach ihr das Herz, als Papa mich aus dem Haus jagte. Sie siechte körperlich und geistig noch eine Weile herum. Papa sorgte dafür, dass man mir das genau berich tete, und als ich dann zur Beerdigung kommen wollte, hat er mich aus der Kirche werfen lassen.«
Pres wollte Tische und Stühle umkippen und die Möbel kurz und klein schlagen. Ähnliche Gefühle hatte er während des Krieges oft gehabt, aber er hatte diesem Verlangen - sich gewaltsam Luft zu verschaffen - niemals nachgegeben und er würde auch jetzt nicht damit anfangen. »Dein Vater hat sich falsch verhalten, Savannah, und du verhältst dich auch falsch, wenn du dir Selbstvorwürfe machst. Du hast nichts Böses oder Verwerfliches getan. Du warst ein junges Mädchen und da ist es ganz natürlich zu glauben, dass man verliebt ist. Aber es macht doch keinen Sinn, wenn du den Rest deines Lebens leidest, nur weil dein Vater ein herzloser Sturkopf war, der dich und deine Motive vollkommen falsch eingeschätzt hat.«
Sie zwinkerte mehrmals. Offensichtlich schien sie sich ernsthaft zu wundem, dass Pres ihr damaliges Verhalten in einem ganz anderen Licht sah und sie nicht verurteilte oder verdammte. Mit diesem Widerspruch musste sie erst mal fertig werden. Deshalb schwieg sie.
»Savannah«, fuhr er eindringlich und liebevoll fort, denn er wusste, dass sie nicht mehr zurückkommen würde, wenn sie jetzt aufstehen und davongehen würde.
Sie befeuchtete sich ihre Lippen mit der Zungenspitze. Es war nicht mehr als eine nervöse Reaktion, aber bei der Bewegung verspürte er ein Ziehen in den Lenden. »Ich war ein ganz normales Mädchen, nicht gerade hässlich, aber auch nicht besonders hübsch. Allerdings hatte ich eine ausgezeichnete Singstimme, ich konnte gut mit Zahlen umgehen und hatte jede Menge Träume, von denen ich sicher war, dass sie sich nach und nach erfüllen würden. Ich hatte eine Großmutter und einen Vater, der mich - einmal - geliebt hatte und viele, viele Freunde. Ich wünschte mir sechs Kinder und wollte die erste Stimme im Kirchenchor singen. Ich wollte kochen und zu Nähkränzchen gehen, wie Gran es getan hatte ...«
Die Stimme versagte ihr und Pres wartete ruhig ab, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie weiter reden konnte.
»Zwei Monate nach dem Tod meiner Großmutter starb auch mein Vater. Bis dahin konnte ich immer noch so tun, als würde eines Tages doch alles wieder in Ordnung kommen, dass Papa mir doch verzeihen würde. Aber als er dann unter der Erde lag, musste ich die Tatsache akzeptieren, dass ich wohl den Rest meines Lebens in Saloons verbringen würde. Und dieses Bewusstsein war vielleicht das Schlimmste an der ganzen Sache.«
»Es muss ein ähnlich starkes Gefühl gewesen sein, wie ich bei meinem ersten Kriegseinsatz im Feldlazarett empfunden habe«, sagte er. »Nichts, was ich in der Medizinschule gelernt hatte, hatte mich auf das vorbereitet, was ich dort vorfand.«
Eine
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