Savannah
kein Wort darüber verloren.
Irgendwo im Haus wurde eine Tür geschlossen und Savannah hörte Junes Stimme: »Savannah-Liebchen, sind Sie krank?« Die ältere Frau tauchte in der Tür zu Savannahs Zimmer auf. June trug eine leichte Haube mit einer gekräuselten Krempe und einen wollenen Umhang. Sie runzelte besorgt die Augenbrauen. »Waren Sie nicht auf dem Weg in den Saloon?«
Savannah wusste nicht, wie sie das alles June erklären sollte, sie verstand ja selbst nicht, was in ihr vorging, aber in diesem Moment brach sie in Tränen aus und setzte sich aufs Bett. June legte Umhang und Haube ab, nahm neben der jungen Frau Platz und legte ihr beruhigend den Arm um die bebenden Schultern. »Na, Liebchen, was ist denn passiert?«
»Ich kann es nicht mehr tun!«, schluchzte Savannah.
»Was?«, fragte June ruhig und logisch.
»Ich kann nicht mehr diese schrecklichen Kleider anziehen und mir diese Farbe ins Gesicht schmieren und meine ganze Zeit in einem verräucherten Saloon verbringen«, heulte sie.
»Ganz ruhig«, sagte die Stationsmeisterin und wiegte die junge Frau leicht hin und her. »Ganz ruhig.« Sie selbst bot keine Lösungsmöglichkeit an und sagte auch nicht, dass sie froh sei, dass Savannah endlich zu Sinnen gekommen sei, da das nun wirklich keine passende Arbeit für sie wäre. Diese Eigenschaft - im entscheidenden Moment zu schweigen - schätzte Savannah neben vielen anderen Dingen besonders an June. »Ich brühe uns einen Tee auf und Sie waschen sich inzwischen das Gesicht und ziehen ein anderes Kleid an. Ich werde Jacob zu Trey rüberschicken, um ihm ausrichten zu lassen, dass Sie heute nicht arbeiten.«
Savannah, die so lange auf sich allein gestellt gewesen war, tat es gut, ein bisschen bemuttert zu werden, umhegt, umsorgt und besänftigt zu werden. »Das wäre sehr nett«, schniefte sie und versuchte tapfer sich wieder zu beruhigen.
June tätschelte mitfühlend die Schulter der jungen Frau und stand auf. »Jeder von uns muss sich von Zeit zu Zeit mal richtig ausweinen«, sagte sie. »Das ist keine Schande. Tun Sie sich also keinen Zwang an, sondern weinen Sie.«
Über diesen Rat musste Savannah nun doch leicht lachen. »Ich komme mir so albern vor«, sagte sie. »Wozu sollen Tränen gut sein? Man ändert doch nichts damit.«
»N un , Tränen sind wie Medizin«, erwiderte June, die sich wunderte, dass Savannah diese Tatsache unbekannt zu sein schien. »Sie helfen uns, wenn wir krank sind und Schmerzen haben, und sie lindem vor allem unsere Sorgen.«
Savannah nahm ein frisch gebügeltes Taschentuch aus der Schublade des Nachttisches und putzte sich leise die
Nase. »Solche Sachen hat meine Großmutter auch immer gesagt.«
June blieb auf der Türschwelle stehen und drehte sich lächelnd um. »Ich glaube, dass ich mich mit Ihrer Großmutter gut verstanden hätte. Aber jetzt waschen Sie sich das Gesicht. Die Farbe ist schon ganz verlaufen.«
Meder lachte Savannah und diesmal klang es schon eine Spur fröhlicher. Nachdem June gegangen war, stand Savannah auf und füllte Wasser a u s dem Krug in ein Waschbassin - Krug und Bassin standen in einem Regal unter dem Fenster -, um sich das Gesicht zu schrubben. Dazu benutzte sie - der einzige Luxus, den sie sich gönnte-parfümierte französische Seife. Nachdem die letzten roten, blauen und schwarzen Farbstreifen verschwunden waren, öffnete sie ihr Haar und bürstete es, bis es glänzte. Dann kam das Kleid dran, das sie sich bis zum Schluss aufbewahrt hatte. Sie ließ es über die Hüften gleiten und kickte es mit dem Fuß in die Zimmerecke. Es war ein Akt mit Symbolcharakter. Als sie zehn Minuten später zu June in die Halle trat, hatte sie die Haare im Nacken zu einem losen Knoten zusammengesteckt und trug ein blaues Leinenkleid. Jacob war inzwischen zu Trey ins neue Haus gegangen, um ihn zu informieren, dass Savannah nicht im Saloon, sondern zu Hause in der Station war.
Ihr Partner kam auch gleich herüber und runzelte die Stirn. »Bist du krank?«, fragte er Savannah mit dem gleichen besorgten Tonfall wie June zuvor.
Savannah saß in einem Schaukelstuhl in der Nähe des Kamins, in dem ein wärmendes Feuer brannte, und hielt ihre Teetasse in der Hand. Sie schüttelte nur den Kopf, denn im Moment war sie nicht fähig, irgendetwas zu erklären. June ging in Mirandas Zimmer, die ihr Baby immer noch nur als Klei n-Isaiah oder Ezechiel bezeich nete, Jacob winkte Toby und Christabel und ging mit den Kindern nach draußen, um nach dem Rechten zu
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