Saving Phoenix Die Macht der Seelen 2: Roman (German Edition)
ausgesprochen höflich er noch gestern auf meinen wiederholten Versuch, ihn auszurauben, reagiert hatte, und fragte mich, was ich meinem Seelenspiegel da eigentlich antat, dass ich ihn zu dermaßen derben Worten greifen ließ, die so gar nicht seinem Naturell entsprachen. »Ich bin echt ein schlechter Einfluss für dich, was?«
Yves legte mir einen Arm um die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, was du bist, Phee, aber ich habe da drinnen gerade ein paarmal rotgesehen. Alle Menschen, mit denen du aufgewachsen bist, verhalten sich wie Monster.«
»Ich bin von Wölfen großgezogen worden, das darfst du nicht vergessen. Rechne also nicht damit, dass ich mich besser als sie verhalte, wenn es hart auf hart kommt.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, du hast mit ihnen nichts gemein.«
Ich hatte alles mit ihnen gemein, vermutlich hatten wir sogar dieselben verkommenen Gene. »Nett von dir, dass du das glaubst, aber sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte. Ich bin die Niete in der Seelenspiegel-Tombola.«
»Ich behalte trotzdem mein Los.« Er strich sanft über meinen Oberarm. »Du bist jetzt meine absolute Nummer eins. Uns werden auch keine Monster je wieder auseinanderbringen.«
Wir kamen in Yves’ Wohnung an, ohne unsere grundlegenden Probleme gelöst zu haben: Ich würde nicht zulassen, dass er seine Familie und Freunde meinetwegen hinterging; er weigerte sich, darüber zu sprechen, was er als Nächstes tun wollte. Das konnte ich verstehen: Wenn er sofort damit herausrückte, dass er nicht vorhatte, sich an die Abmachung zu halten, würde ich jemandem wehtun müssen – nicht gerade das ideale erste Kennenlernen mit seinen Eltern. Und doch behauptete er beharrlich, dass ich bei seinen Entscheidungen immer an erster Stelle stehen und er mich nie im Stich lassen würde.
»Vertrau mir, Phee. Es wird sich alles finden«, sagte er, als wir mit dem Aufzug nach oben fuhren.
Ich schüttelte leise den Kopf und hielt den Blick starr auf die wechselnde Ziffernanzeige gerichtet.
»Das ist nicht ganz so anstrengend wie die Treppe, hm?«
Ich zuckte zusammen. »Ja. Sorry deswegen. Ich dachte, dass ich unbedingt zurück in die Community müsste.«
»Das haben wir gemerkt.«
»Das war eine schlechte Entscheidung.«
Er lächelte. »Ja, das denke ich auch.«
»Ich hätte einfach von der Bildfläche verschwinden sollen – auf Nimmerwiedersehen. Dann würdest du jetzt nicht in dieser Zwickmühle stecken.«
Yves runzelte die Stirn. »Na, das wäre aber eine richtig schlechte Entscheidung gewesen.«
Wir stiegen im zwanzigsten Stock aus und gingen zur Wohnungstür. Yves steckte den Schlüssel ins Schloss, dann schob er die schwere Tür auf, um mich als Erstes eintreten zu lassen. Ein Berg von Gepäck hieß uns in der Diele willkommen.
»Oh-oh!« Yves lächelte mich gequält an.
»Sind sie schon da?«
»Ja. Das war aber echt schnell. Sie müssen gleich in den ersten Flieger gehüpft sein.«
»Wir sind gerade erst angekommen.« Ein großer Mann mittleren Alters trat aus einer Tür, die Arme ausgestreckt. Ich dachte, er würde auf seinen Sohn zugehen, aber stattdessen steuerte er mich an. Ich wollte noch zurückweichen, aber Yves’ Hand, die fest auf meiner Schulter lag, hinderte mich daran. Zwei Arme umschlossen mich mit der Kraft der Rocky Mountains. Er roch nach Wald, ein Aftershave mit Tannennadelduft. Yves hatte mir bereits erzählt, dass sein Vater, Saul Benedict, in Colorado geboren und aufgewachsen war. Er hatte das dichte, schwarze Haar seiner Vorfahren, mittlerweile grau gesträhnt, und gebräunte Haut, die davon zeugte, dass er die meiste Zeit des Jahres draußen im Freien verbrachte. Jetzt war auch klar, wem seine Söhne figürlich nachschlugen:Saul Benedickt war locker über eins achtzig groß. »Du hast sie gefunden.«
Yves räusperte sich verlegen.
»Ja, Dad, das hab ich.«
»Das sind großartige Neuigkeiten, Yves.«
Kaum hatte Saul mich losgelassen, wuselte eine kleine Frau heran. Sie war etwas kleiner als ich, drückte mich an sich und küsste mich auf die Wange. »Yves, du schlaues Kerlchen!«, rief sie mit rauer Stimme.
»Ich hatte einfach Glück, Mom!«
»Karla, du nimmst dem armen Mädel noch die Luft zum Atmen!«, gluckste Saul.
Karla schob mich sanft von sich weg und schlug ihrem Sohn leicht gegen den Brustkorb. »Aber wo hast du bloß gesteckt, du Schlingel? Deine Brüder waren schon in heller Aufregung – sie hatten keine Ahnung, was sie tun sollten! Zed hat ihnen dann gesagt, es würde
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