Saving Phoenix Die Macht der Seelen 2: Roman (German Edition)
wartete.
Er lächelte. »Demut – genau das brauche ich – jemand, der meine vermeintliche Intelligenz herausfordert. Jemand, der meine Selbstbeherrschung auf die Probe stellt. Ich habe immer gedacht, ich wollte möglichst ruhig und besonnen durchs Leben gehen; jetzt ist mir klar, dass ich diese Leidenschaft brauche, weil ich mich sonst nie richtig lebendig fühlen werde. Ich glaube – und ich hasse, das zuzugeben –, dass ich auf dem besten Weg war, ein angepasster Langweiler zu werden. Ich hätte noch vor meinem dreißigsten Geburtstag Cordsakkos getragen, wenn du nicht gekommen wärst.
Bei der Vorstellung musste ich lächeln. Ein Cordsakko wäre gar nicht so übel, solange er nichts weiter darunter tragen würde und mir die ehrenvolle Aufgabe zukäme, es aufzuknöpfen. »Aber ich spiele nicht in deiner Liga, Yves. Ich habe nie eine Schule besucht.«
»Du bist auf deine eigene Weise clever.«
»Ich habe gigantische Wissenslücken. Ich bin wie Schweizer Käse.«
»Und wenn schon, du kannst dich bei einer Meinungsverschiedenheit trotzdem gegen mich behaupten; ich bin es gewohnt, dass die Leute sofort klein beigeben, weil sie glauben, dass ich mehr weiß als sie.«
»Und vermutlich stimmt das sogar.«
»Nicht wirklich. Das Lernen fällt mir leicht. Ich kenne mich mit Fakten und Zahlen aus, aber nicht mit dem wahren Leben. Nicht so wie du.«
Ein gewisser Stolz erfüllte mich; er glaubte, dass ich mehr vom Leben wusste als er.
»Und du besitzt all jene Eigenschaften, die ich schon mal genannt habe. Du bist fürsorglich, beschützend, entschlossen, dich erst um andere zu kümmern, bevor du an dich selbst denkst. Deine Selbstlosigkeit erfüllt mich mit Ehrfurcht und jetzt, da ich die Leute kennengelernt habe, mit denen du lebst, noch umso mehr. Du bist ein viel besserer Mensch, als ich es bin.«
»Quatsch.«
Er legte meine Hand auf seine, sodass unsere Handflächen beide auf seinem Herz ruhten. »Ich mein’s ernst.«
»Ich bin eine Diebin. Und mir hat’s gefallen.«
»Das wäre ich auch geworden, wenn ich in dieses Leben hineingeboren worden wäre. Und außerdem kann ich nachvollziehen, was das für ein Kick ist, wenn man etwas besonders gut kann. Mir gibt es den Kick, eine Formel zu knacken, dir gibt es den Kick, ungeschoren davonzukommen. Warum finden wir nicht zusammen eine Sache, die uns die gleiche Art von Kick gibt, ohne diesen Das-ist-gegen-das-Gesetz-und-wird-dich-ins-Gefängnis-bringen-Teil?
Ihn küssen wäre eine solche Sache und doch musste ich ihm seine Illusionen zerstören. Meine Verfehlungen sprudelten nur so aus mir heraus, noch ehe ich es mir recht überlegt hatte. »Wegen mir wurde meinem Freundetwas Schlimmes angetan. Unicorn hat ihm zehn Jahre seines Lebens genommen, bloß weil ich nicht reden wollte.«
Er massierte mir besänftigend den Nacken. »Nicht dein Fehler. Gib demjenigen die Schuld, der das getan hat. Ich würde deinen Freund gern kennenlernen. Wie war gleich noch mal sein Name?«
»Tony.« Ich malte mit einem Finger einen Kreis auf seine Brust. »Ihn kannst du gern kennenlernen. Aber er ist der Einzige. Von den anderen halte dich fern.«
»Okay. Wir können ihn ja nachher suchen gehen, sobald du meinst, dass es sicher ist.«
»Hier ist nichts jemals sicher.«
»Dann eben weniger gefährlich.«
»Ja, das trifft’s schon eher.«
»Nur eine Sache noch, Phee.«
»Hmm?«
»Wenn ich ein oder zwei Bauern opfere, damit du in Sicherheit bist, will ich nicht, dass du meine Königin wegwirfst.«
Dass er das Ganze wie ein Schachspiel beschrieb, machte mich nicht gerade glücklich, denn es ging hier um so viel mehr als einen Gratulationshändedruck für den Sieger. »Weißt du, wie sich das für mich anfühlt, Yves?« Er schüttelte den Kopf. »Als würde ich mit verbundenen Augen über eine Seilbrücke gehen. Ich weiß nicht, ob du unter mir ein Sicherheitsnetz gespannt hast oder ob da ein Fluss ist, in dem sich Krokodile tummeln.«
Er küsste mich auf die Stirn. »Ich liebe deine Denkweise. Du hast solch ein unglaublich bildhaftes Verständnis,das ist viel spannender als meine nüchterne Art, das Leben zu betrachten.«
Er war einer Antwort geschickt ausgewichen.
»Und, was ist es jetzt da unten? Ein Netz oder Krokos?«
»Was denkst du denn?«
»Ich denke, dass du denkst, dass da ein Netz ist, doch womöglich übersiehst du die großen Löcher darin. Haben nicht beide, dein Vater und Victor, dich gewarnt?«
Er rieb mir die Arme. »Siehst du, ich hab ja immer gesagt,
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