Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
volles Vertrauen, denn was er mailte, klang wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
    «Er hatte auf der Welt nur ihn geliebt …» Die intimste Begegnung in seinem Leben blieb diejenige mit Jacques, und dabei würde es auch fünfzehn Jahre nach seinem Tod bleiben, trotz der Entfremdung zuvor. Er konnte ihn förmlich hören:
Stents?
Sind das Zuhälter oder Jungfische? Titan? Da hast du doch endlich was Bleibendes in deinem Herzen – es wird dich als Sondermüll überleben!
    Dabei hätte
er
Stents nötiger gehabt – doch er war der Mann, einen Herzfehler durchzuziehen.
    Es fehlen nur zwei Buchstaben.
    Wenn etwas fehlt, fehlt alles.
    Ja, so redet ein Mensch wie du.
    Ein Mensch wie ich? Kennst du noch manchen von der Sorte?
    Nein. Aber du hast gesehen, wohin es führt.
    Nicht nur Rauchen ist tödlich, mein Freund. Leben auch.
    Du hast versprochen, dich zu melden.
    Und wenn ich draußen vor der Tür stände?
    Hubert Achermann lachte. Plötzlich hatte ihn etwas angeflogen und verstärkte die leichte Brise im Gehäuse zur Bö: eine Erinnerung, als habe es doch einmal etwas gegeben, was mit ihm selbstganz frisch in die Welt gekommen war. Und während er kraftvoll in die Pedale trat, ließ er die Hörner fahren und lehnte sich zurück wie ein Akrobat, während er den hohen Rhythmus beibehielt. Er fixierte den höchsten Punkt der Kuppel, als wäre er der Polarstern. Er dachte an den jungen Horner, den Bäckersohn aus Münsterburg, der nie, auch nicht im Orkan, seekrank geworden war, solange er sich über seine Instrumente beugte. Es ging nicht nur um seine Lage, sondern diejenige des Schiffs mit dem Namen «Hoffnung». Es gab noch keine Karten, die für eine Reise um die Welt genügt hätten. Die «Hoffnung» zeichnete die erste mit ihrem Leib, und der Kurs war der richtige, auf dem es nicht unterging.
    Solal war verstummt; das letzte Stück war hart und heftig gewesen. Jetzt trat Achermann die Pedale ebenso schnell weiter, und in der Stille war nur noch ihr fast tonloses Sausen zu hören. Er begleitete den Rhythmus seiner Beine mit einer eigenen Melodie, und es dauerte noch eine ganze Strecke, bis auch die Worte dazu nachkamen:
    Es geht bei gedämpfter Trommel Klang …
    Er hatte auf dem Flohmarkt in Lüttich einen zerfledderten Band deutscher Volkslieder gekauft, die er sich, allein auf seiner Bude, vorgesungen hatte.
    Ich hatt’ auf der Welt nur ihn geliebt
,
    Nur ihn, dem man nun den Tod doch gibt …
    Und im nächsten Augenblick fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
    «Nur
ihn». Nur ihn
hatte er geliebt, der «einzige Todesschütze». Drei Buchstaben, der Schlüssel paßte, das Rätsel war gelöst.
    Er hatte zu treten aufgehört und sah auf die Zeitanzeige, sie stand immer noch bei Null. Und in diesem Augenblick klopfte es wieder, unmittelbar an der Falltür, ein Hämmern gegen den Fußboden wie aus dem Inneren der Erde.
    Achermann stockte das Herz. Dann stieg er vom Gerät, ging mit festem Schritt zur Luke, faßte sie am Ring, zog sie hoch und trat zurück. In diesem Augenblick schlug es vom Turm der nahen Augustinerkirche vier Uhr.
Vier?
    Zuerst blieb die Öffnung leer. Dann stieg langsam ein schwarzer Hut mit breiter Krempe herauf, ein Kopf, die Schultern eines grauen Soldatenmantels. Das Wachstum der Gestalt nahm kein Ende, und als sie auch den zweiten schweren Schuh über die Schwelle gehoben hatte, stand sie überlebensgroß im Raum und sah auf Achermann nieder. Die äffischen Augen blieben verschattet, doch der fleischige Mund im schweren Kinn, der aussah, als wäre er eher zum Saugen als zum Reden geschaffen, war nicht zu verkennen. Er trug seine schwarze Tasche in der einen Hand, in der andern die Puppen.
    Herr Doktor Diebold, sagte Achermann zwischen den Zähnen, die unwillkürlich aufeinanderschlugen. Was für ein unverhoffter Besuch.
    Der Mann mahlte mit den Kiefern. Dann sagte er mit tiefem Baß: Sie haben etwas fallen lassen. – Er reichte ihm die Püppchen und ließ sein lückenhaftes Gebiß sehen.
    Stecken Sie es ein, sagte Achermann. – Wie sind Sie hereingekommen?
    Ich bin schon eine ganze Weile da.
    Es kam Achermann nicht in den Sinn, dem Mann die Hand zu reichen oder einen Sessel anzubieten. – Und was kann ich für Sie tun?
    Zweierlei, sagte der Baß. – Sie sind Advokat. Ich habe einen Auftrag, und ich habe ein Mandat.
    Einen Auftrag, sagte Achermann, ich hoffe, daß ich ihn annehmen kann.
    Es handelt sich um Johann Philipp von Hohensax.
    Das hab’ ich mir gedacht, sagte Achermann. –

Weitere Kostenlose Bücher