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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Tasche an den Flügel, doch entnahm er ihr kein Manuskript. Er sprach vom Bühnenrand frei ins Publikum, monoton, doch druckreif.
    Der Vortrag, kündigte er an, werde im wesentlichen aus zwei Richtigstellungen bestehen. Beide bezögen sich auf die eher schwache Erzählung «Der Narr auf Manegg». Die eine betreffe Kellers Aussage, Ital Manesse habe die Liederhandschrift 1409, nachdem das Schloß ihres Diebes, des Narren, abgebrannt sei, «einem jungen Freiherrn von Sax» weitergeschenkt. «Nimm es und verwahre es auf deiner starken Veste Forsteck; es wird dort besser aufgehoben sein als in meinen Händen!» Das war der erste Irrtum. Der zweite: Die letzte Frau von Hohensax habe sich «von dem pfälzischen Kurfürsten und seinen Gelehrten das Buch nur ungern und nach langem Zögern abdrängen lassen».
    Und nun schickte sich Diebold, ohne auch nur den Zusammenhang zu skizzieren, zur ausführlichen Kritik zweier Details an, deren Unerheblichkeit in die Augen sprang. Ihm aber lag an der Ehrenrettung eines Freiherrn Johann Philipp von Sax, dessen Ehre freilich niemand in Frage gestellt hatte, denn er war gänzlich unbekannt. Das aber war gerade der Makel, den zu tilgen Diebold nach Überseen gekommen war. Zuerst mußte man wissen: Philippvon Sax kann die Liederhandschrift auf keinen Fall aus Manesses Hand entgegengenommen haben, weil er erst im 16. Jahrhundert gelebt hat. Zum zweiten: auch zuvor ist die Liederhandschrift durchaus nicht im Besitz eines Hohensax gewesen. Philipp hat sie als Kriegsherr erst erbeuten müssen, und zwar im Karmeliterkloster zu Geldern am Niederrhein, das er im Namen des reformierten Glaubens aufgehoben hat. Danach ist sie mit ihm auf seinen Stammsitz Forsteck im oberen Rheintal gelangt und nach seinem gewaltsamen Tod auch noch eine Weile dort verblieben. Und hier gilt es schon den zweiten Irrtum Kellers zu berichtigen. Die Witwe – eine Adriana Franziska, geborene von Brederode – hat sich keineswegs erst nach schwerem Zögern von der Handschrift getrennt. Sie hat den Schatz
verludert
. Die verwöhnte Niederländerin hat sich auf ihrem unverhofften Witwensitz zwischen Felsen und Kühen zum Sterben gelangweilt und mit ihren Früchtchen das Vermögen in wenigen Jahren gänzlich durchgebracht. Und damit man ihre Schande recht ermessen kann, wollen die Verdienste des Mannes, an dem sie sich versündigt hat, angemessen gewürdigt sein. Dafür, für nichts anderes, ist er, Diebold, nach Überseen gekommen.
    Diese Geschichte, die er jetzt ruhmredig auszubreiten begann, stieß beim Publikum auf profundes Desinteresse. Achermann aber stellte fest, daß sie ihm bekannt, schon beinahe geläufig war. Der Gefeierte war ja kein anderer als der erste Besitzer des Hauses «zum Eisernen Zeit», der das Haus nach seinem Tod als Spukmann unsicher gemacht hatte, zugleich aber intakt in seiner Gruft liegengeblieben war, bevor ihn katholische Nachtbuben entwendeten und weiterem Nachleben zuführten, erst als Märtyrer, dann als Mumie. Davon freilich war bei Diebold keine Rede. Er präsentierte seinen Freiherrn, als könne er hier und heute jederzeit an die Tür pochen. Er
empfahl
ihn, lobte die Geläufigkeit in Wort und Schrift, die er sich auf seinen Wanderjahren erworben hat, Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch, schriftlich auch Griechisch und Latein. Er stellte seine Befähigung zum Kriegsmann ins besteLicht und würdigte die Mischung von Zuckerbrot und Peitsche, die er als Besatzungsoffizier in katholischen Ländern walten läßt. Philipp von Sax ist aber auch ein erprobter Friedensstifter und ein besonders liebevoller Bruder. Die Prüfung einer verantwortungslosen Ehefrau trägt er als Kavalier. Ganz besonders bleibt er dieser Stadt verbunden, deren Bürgerrecht schon seine Ahnen erworben haben. Und beim Sterben zeigt er sich noch einmal in ganzer Größe. Denn was tut er nach Empfang der tödlichen Wunde? Er setzt ein Schreiben nach Münsterburg auf, in dem er den Mitbürgern seine Familie ans Herz legt und um Schutz für sein Eigentum bittet. Er zeigt sich als Mann, dem Schreiben nötiger ist als Leben.
    Diebold hatte im Verlauf seines Vortrags unmerklich nicht nur die Sprache gewechselt – fremdsprachige Brocken schlichen sich immer öfter ein –, sondern auch den Stil. Seine Perioden wurden länger, ihre Syntax rhetorisch kompliziert und gelegentlich undurchsichtig, seine Sprache altertümlich. Außerdem ging sie immer deutlicher in die Ichform über. Er schloß mit den Worten, in denen er

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