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Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Titel: Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordian Robert
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Firsts sprang er auf den Hain über, der sich dort erhob. Feierlich, wie Wächter eines mythischen Schattenreichs ragten die Eichen, Buchen und Eschen gegen den Nachthimmel. Das Mondlicht betupfte hier einen Stamm, dort eine Krone, woanders wieder nur einen dicht belaubten Zweig.
    Während ich meine Augen anstrengte, um irgendetwas zu erkennen, hatte ich plötzlich das Gefühl, von dort oben ebenfalls angestarrt zu werden. Ich war so erschrocken, dass ich den Kopf einen Augenblick heftig abwandte.
    Dann sah ich zaghaft wieder hin und jetzt schien es mir, als formte sich dort aus Licht und Schatten ein glotzendes Riesenauge, ein breiter, höhnisch verzogener Mund, ein von Runzeln und Narben gefurchtes Antlitz, über dem sich ein dichter, wüster Haarschopf erhob. Es war die teils wirkliche, teils überirdische Erscheinung eines gigantischen Waldschrats, der mich düster und änigmatisch anstierte.
    Natürlich handelte es sich um das erwähnte Naturphänomen, das mich nunmehr zum zweiten Mal erschreckte. Es war der Eichenstamm mit den menschlichen Zügen. Kamen von dort die seltsamen Töne, die ich gehört hatte? Im Augenblick war nichts zu vernehmen. Der Lärm im Haus und in der Vorhalle war so stark, dass er die Stimme ganz verschluckte. Vielleicht war sie auch verstummt.
    Doch einmal aufmerksam geworden, wollte ich Näheres ergründen. Ich ging außen an den geschnitzten Pfeilern entlang und drückte mich um die Hausecke. Nun war ich nur noch wenige Schritte von der höchstens zehn Fuß hohen Böschung entfernt, die zu dem Hain hinauf führte. Ich blieb an der Giebelwand stehen und lauschte.
    Tatsächlich hatte der Sänger eine Pause gemacht, denn in diesem Augenblick begann er von Neuem. Jetzt war ich sicher, dass es ein Mann war, der die hohen, langgezogenen Töne ausstieß. Ebenso gewiss war, dass der seltsame Nachtvogel irgendwo dort oben im Geäst der Eiche hockte. Die Worte waren hier deutlich zu verstehen, es war schlechtes, falsches Latein, untermischt mit ein paar Brocken Diutisk. Ich glaubte, Verse des fünften Psalms zu erkennen.
    „Vernimm mein Schreien, vernimm mein Schreien,
    bringe die Lügner um, stoße sie aus.
    Vernimm mein Schreien …“
    War es sinnvoll, jetzt zu versuchen, dem Geheimnis dieser ungewöhnlichen Mitternachtsmesse auf die Spur zu kommen?
    Am Fuß der Böschung führte der Palisadenzaun entlang, den ich nicht überwinden konnte. Ich glaubte jedoch, oberhalb der Zaunpfähle ein paar Stufen im Mondlicht schimmern zu sehen. Also musste es hier wohl eine Pforte geben. Um dies zu ergründen, machte ich zwei, drei Schritte vorwärts. Dann blieb ich abermals stehen, um die Ohren zu spitzen.
    Der Gesang von dort oben hatte plötzlich instrumentale Begleitung bekommen. Es war ein unregelmäßiges „tak-tak-tak“, das nur wenige Schritte vor und wenige Fußbreit über mir ertönte, untrüglich das Geräusch von Axtschlägen. Der Urheber musste am Fuß der Eiche stehen. Leider war mir durch hohes Gestrüpp die Sicht auf den unteren Teil des Baums versperrt. Es konnte jedoch keinen Zweifel geben, dass die Hiebe dem Stamm desselben Baumes galten, in dessen Krone der Sänger saß. Was diesen offenbar nicht im geringsten zu stören schien, denn er fuhr nicht nur unbeirrt fort zu psalmodieren, sondern verstärkte auch noch die Töne, die nun kreischten wie eine verstimmte Fiedelsaite.
    „Vernimm mein Schreien, vernimm mein Schreien …“
    Endgültig war nun meine Neugier geweckt. Nur noch wenige Schritte zum Zaun … dann musste man etwas erkennen. Den Axtschläger wenigstens würde ich sehen.
    Ich tat einen Schritt – und stieß einen Jammerlaut aus.
    Ins Leere war ich getreten und im nächsten Augenblick fand ich mich auf dem Boden einer Speichergrube wieder. Jetzt, vor der Ernte, war sie nicht gefüllt und so war ich gut zwei Fuß tief hinein gestürzt. Zum Glück war ich günstig auf die Seite gefallen. Nur meine Schulter hatte sich an etwas Hartem gestoßen, einem Krug oder einer Wanne, wie ich im Dunkeln tastend feststellte.
    Ich rappelte mich gleich wieder hoch und kroch hinaus. Aber natürlich war damit alles verdorben. Der Gesang und die Geräusche waren verstummt und als ich jetzt am Rande der Grube den Kopf hob, sah ich zwar die Umrisse des gewaltigen Eichenstamms vor mir, aber sonst nichts. Das dämonische Antlitz war aus diesem Blickwinkel nicht zu erkennen. Überdies hatte der Mond sich hinter Wolken versteckt.
    Ich brummte und schimpfte vor mich hin. Verfluchte altgermanische

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