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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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des Weltkriegs; 6. Geburtenkontrolle und 7. den Trug des freien Willens. Damit war jedoch sein Nadir erreicht. Er merkte, daß seine Füße immer kälter wurden und sein Magen immer leerer, und da er noch ein paar Meilen vor sich hatte, überquerte er den Bach auf ein paar schlüpfrigen Steinen und näherte sich dem Tor zum Gehöft, das nicht aus den üblichen fünf Stangen bestand, sondern solide und wehrhaft gebaut war. Ein Mann stand daran gelehnt, einen Strohhalm im Mund. Er machte keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren, als Wimsey näher kam.
    »Guten Abend«, sagte der Adelssproß munter und legte die Hand auf den Riegel. »Recht kühl, wie?«
    Der Mann antwortete nicht, sondern lehnte sich noch schwerer ans Tor und atmete vor sich hin. Er trug einen Rock aus grobem Stoff und Breeches, und seine Gamaschen starrten von Kot.
    »Natürlich der Jahreszeit angemessen«, sagte Peter. »Gut für die Schafe, nicht? Macht die Wolle schön kraus und so.«
    Der Mann nahm den Strohhalm aus dem Mund und spuckte in die Richtung von Peters rechtem Stiefel.
    »Gehen Ihnen viele Tiere im Moor verloren?« fuhr Peter fort, indem er wie unabsichtlich den Riegel löste und sich von der anderen Seite ans Tor lehnte. »Ich sehe, Sie haben eine feste Mauer ums Haus. Muß ein bißchen gefährlich sein hier im Dunkeln, wenn Sie etwa einen kleinen Abendspaziergang mit Ihrer Freundin machen wollen, wie?«
    Der Mann spuckte wieder aus, zog seinen Hut in die Stirn und meinte kurz angebunden:
    »Was woll'n Sie?«
    »Och«, sagte Peter, »ich möchte nur Mr. – ich meine, dem Besitzer dieses Hofs einen kleinen Freundschaftsbesuch machen. So von Nachbar zu Nachbar. Einsame Gegend hier, nicht? Meinen Sie, ob er zu Hause ist?«
    Der Mann grunzte.
    »Freut mich zu hören«, sagte Peter. »Ich finde es immer wieder erfreulich, wie nett und gastfreundlich die Leute hier in Yorkshire alle sind. Egal wer kommt, ein Plätzchen am Feuer ist immer für ihn da. Entschuldigen Sie, aber Sie lehnen so am Tor, daß ich es nicht aufkriege. Nur aus Versehen natürlich, aber zufällig haben Sie da, wo Sie stehen, den längsten Hebel. Ein bezaubernd schönes Haus, nicht? So herrlich fest und trutzig und so weiter. Kein Efeu, keine Rosenbögen und derlei Spießerkram. Wer wohnt denn hier?«
    Der Mann betrachtete ihn ein paar Sekunden lang von oben bis unten und sagte dann: »Mr. Grimethorpe.«
    »Ach nein, wirklich?« rief Lord Peter. »Wer hätte das gedacht? Genau der Mann, den ich kennenlernen möchte. Das Muster eines Bauern, wie? Überall, wohin ich in Nord-Yorkshire komme, landauf, landab höre ich Mr. Grimethorpes Lob. ›Grimethorpes Butter ist die beste.‹ – ›Grimethorpes Wolle reißt nie von der Rolle.‹ – ›Freuden winken mit Grimethorpes Schinken.‹ – ›Für den Schlemmer Grimethorpes Lämmer.‹ – ›Mit Grimethorpes Rinderbraten muß jedes Fest geraten.‹ Es ist der Traum meines Lebens, Mr. Grimethorpe einmal von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. Und Sie sind gewiß sein treuer Knecht und unentbehrlicher Gehilfe: Du springst vom Bett, noch eh' der Tag anbricht, die Küh' zu melken vor dem ersten Licht. Du, wenn das Abendrot die Erde kost, die sanften Schafe von dem Berge holst. Du, an des Herdes heimeligem Schein, von alter Zeit erzählst den Kindern fein. – Ein schönes Leben, obwohl im Winter vielleicht etwas eintönig. Erlauben Sie mir, Ihre ehrliche Hand zu drücken.«
    Ob von dieser lyrischen Anwandlung gerührt, oder ob das schwindende Tageslicht noch nicht zu trübe war, um einen blassen Schimmer von dem runden Metallstück in Lord Peters Hand zurückzuwerfen, jedenfalls trat der Mann eine Winzigkeit vom Tor zurück.
    »Herzlichen Dank, Gevatter«, sagte Peter und drängte sich flink an ihm vorbei. »Vermute ich richtig, daß ich Mr. Grimethorpe im Haus antreffen werde?«
    Der Mann sagte nichts, bis Wimsey ein Dutzend Schritte auf dem gepflasterten Weg weitergegangen war, dann rief er ihm nach, ohne sich jedoch umzudrehen:
    »Mister!«
    »Ja, mein Freund?« antwortete Peter liebenswürdig und ging zu ihm zurück.
    »Kann sein, daß er die Hunde auf Sie hetzt.«
    »Was Sie nicht sagen!« rief Lord Peter. »Der treue Hund begrüßt den verlorenen Sohn bei der Heimkehr. Szene familiärer Wiedersehensfreude. ›Mein lange verirrtes Fleisch und Blut!‹ Tränen und lange Reden, Freibier für das beglückte Gesinde. Frohsinn und Lachen am Kamin, bis die Balken sich biegen und die Räucherschinken runterfallen, um

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