Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
mitzufeiern. Gute Nacht, mein Fürst, bis die Kühe heimkehren und die Hunde Isebel fressen in jenem Lande Israels, da des Lenzes Windspiele den Spuren des Winters folgen. Ich fürchte«, sagte er zu sich selbst, »die Teezeit ist vorbei.«
Lord Peters Stimmung hob sich, während er sich der Haustür näherte. Solche Besuche liebte er. Obgleich er sich der Kriminalistik zugewandt hatte, wie er sich bei anderer Veranlagung auf Indischen Hanf verlegt haben würde – nämlich des Nervenkitzels wegen –, als sein Leben in Staub und Asche zu liegen schien, war seine Mentalität nicht in erster Linie die eines Kriminalisten. Von seinen Nachforschungen in Grider's Hole versprach er sich so gut wie nichts, und wenn, dann hätte er alles, was er wissen wollte, gegen eine im rechten Augenblick gezückte Banknote auch von dem griesgrämigen Herrn am Tor erfahren können. So wäre Parker mit Sicherheit vorgegangen; er wurde dafür bezahlt, zu ermitteln und sonst nichts, und weder seine natürlichen Gaben noch seine Schulbildung (auf dem Gymnasium von Barrow-in-Furness) machten ihn geneigt, aus der Laune einer unbotmäßigen Phantasie heraus auf Nebenpfade auszuweichen. Für Lord Peter aber war die ganze Welt ein unterhaltsames Labyrinth von Nebenpfaden. Er hatte es in fünf bis sechs Sprachen zu einer beachtlichen Fertigkeit gebracht, war ein Musiker von einigem Geschick und noch mehr Verständnis, Giftexperte, Sammler seltener Buchausgaben, Salonlöwe und ein gewöhnlicher Naseweis. Man hatte ihn schon sonntags um halb eins in Frack und Zylinder durch den Hyde Park spazieren und die News of the World lesen sehen. Seine Leidenschaft für das Unerforschte ließ ihn im Britischen Museum obskure Pamphlete ausgraben, die Gefühlswelt von Steuerbeamten erforschen und herausfinden, wo seine eigene Abwasserleitung endete. Und jetzt führte für ihn kein Weg daran vorbei, in einem persönlichen Gespräch zu ergründen, warum ein Bauer in Nord-Yorkshire die Angewohnheit hatte, seine Hunde auf harmlose Besucher zu hetzen. Das Ergebnis war unvermutet.
Sein erstes Klopfen blieb unbeachtet, und er klopfte noch einmal. Diesmal war drinnen Bewegung zu vernehmen, und eine verdrießliche Männerstimme rief:
»Nun laß ihn schon rein, zum Teufel mit ihm – und mit dir«, woraufhin man einen Gegenstand zu Boden fallen oder gegen die Wand fliegen hörte.
Die Tür wurde unverhofft von einem etwa siebenjährigen Mädchen geöffnet, das sehr dunkel und hübsch war und sich den Arm rieb, als ob es dort von dem Wurfgeschoß getroffen worden sei. Schüchtern stand die Kleine da und blockierte die Schwelle, bis dieselbe Stimme von neuem ungeduldig grollte:
»Na, wer ist's?«
»Guten Abend«, sagte Wimsey und nahm den Hut ab. »Verzeihen Sie, wenn ich hier so hereinplatze. Ich wohne zur Zeit im Jagdhaus von Riddlesdale.«
»Na und?« rief die Stimme. Über den Kopf des Kindes hinweg erkannte Wimsey jetzt die Silhouette eines großen, schwer gebauten Mannes, der rauchend in der Ecke neben einem gewaltigen Kamin saß. Das Feuer spendete das einzige Licht, denn das Fenster war klein, und draußen war es schon ziemlich dunkel geworden. Es schien ein großer Raum zu sein, aber er wurde gleich hinterm Kamin von einer hohen eichenen Sitzbank abgeteilt, und dahinter herrschte undurchdringliche Finsternis.
»Darf ich eintreten?« fragte Wimsey.
»Wenn es sein muß«, antwortete der Mann ungnädig. »Mach die Tür zu, Göre; was glotzt du so? Geh zu deiner Mutter und laß dir von ihr Manieren beibringen.«
Dies war nun wohl ein Fall von unsachgemäßem Umgang eines Glashausbewohners mit harten Gegenständen, doch das Mädchen verschwand eilig in der dunklen Höhle hinter der Bank, und Peter trat ein.
»Sind Sie Mr. Grimethorpe?« fragte er höflich.
»Und wenn?« erwiderte der Bauer. »Ich hab keinen Grund, mich für meinen Namen zu schämen.«
»Ganz gewiß nicht«, sagte Lord Peter, »und schon gar nicht Ihres Hofes. Hübsch haben Sie's hier, wie? Übrigens, mein Name ist Wimsey – Lord Peter Wimsey, genauer gesagt; der Bruder des Herzogs von Denver. Ich möchte Sie wirklich nicht stören – Sie haben sicher viel zu tun, mit den Schafen und so – aber ich hab mir gedacht, ein kleiner Nachbarschaftsbesuch tut nicht weh. Einsame Gegend hier, nicht wahr? Ich weiß nun mal gern, wer meine Nachbarn sind. Von London her bin ich es gewöhnt, daß sich die Leute gegenseitig auf die Füße treten. Hier kommen wohl nicht viele Fremde vorbei,
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