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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Tarrant betrübt. »Sie hat sich als Arbeiterin so wohl gefühlt. Einmal haben wir acht Wochen lang versucht, in einem Taglöhnerhaus zu leben, zu fünft, von achtzehn Shilling die Woche. Es war ein herrliches Erlebnis. Unmittelbar am Rande des New Forest.«
    »Im Winter?«
    »N-nein – wir hatten es für besser gehalten, nicht gleich im Winter anzufangen . Aber wir hatten neun Regentage, und der Kamin in der Küche hat immerzu gequalmt. Sehen Sie, das Holz kam eben aus dem Wald und war so naß.«
    »Aha. Das muß ungemein interessant gewesen sein.«
    »Es war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde«, sagte Miss Tarrant. »Man fühlte sich der Erde und allem Ursprünglichen so nah. Wenn wir doch die Industrialisierung abschaffen könnten! Ich fürchte jedoch, daß wir das ohne eine blutige Revolution nie schaffen werden. Es ist schrecklich, versteht sich, aber heilsam und unausweichlich. Trinken wir noch Kaffee? Wir müssen ihn aber selbst nach oben tragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Die Mädchen bringen ihn nach dem Essen nicht mehr rauf.«
    Miss Tarrant ging ihre Rechnung begleichen, und als sie zurückkam, drückte sie ihm eine Tasse Kaffee in die Hand. Der Kaffee war schon auf die Untertasse übergeschwappt, und als er sich tastend seinen Weg um einen Wandschirm herum und eine steile, schiefe Treppe hinaufsuchte, wurde noch mehr verschüttet.
    Sie tauchten aus dem Keller auf und wären fast mit einem blonden jungen Mann zusammengestoßen, der in einer Reihe kleiner Fächer nach Briefen suchte. Als er nichts fand, begab er sich in den Salon zurück. Miss Tarrant stieß einen Ruf des Entzückens aus.
    »Hallo, da ist ja Mr. Goyles«, rief sie.
    Wimsey sah in die angegebene Richtung, und beim Anblick der hochgewachsenen, leicht vornübergebeugten Gestalt mit dem unordentlichen Haar und einem Handschuh über der rechten Hand konnte er einen kleinen Erregungslaut nicht unterdrücken.
    »Wollen Sie mich nicht vorstellen?« fragte er.
    »Ich hole ihn«, sagte Miss Tarrant. Sie bahnte sich einen Weg durch den Salon und sprach den jungen Agitator an, der zusammenschrak, zu Wimsey blickte, den Kopf schüttelte, sich zu entschuldigen schien, einen eiligen Blick auf seine Uhr warf und zur Tür hinausschoß. Wimsey setzte ihm nach.
    »Na so was!« sagte Miss Tarrant mit verständnisloser Miene. »Er sagt, er hat eine Verabredung – aber er kann doch nicht einfach die Versammlung –«
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte Peter. Schon war er draußen, gerade rechtzeitig, um eine dunkle Gestalt über die Straße verschwinden zu sehen. Er nahm die Jagd auf. Der Mann nahm die Beine in die Hand und schien sich in eine dunkle Gasse zu stürzen, die zur Charing Cross Road führt. Wimsey, der ihm folgte, wurde plötzlich geblendet von einem Blitz und einer Rauchwolke fast unmittelbar vor seinem Gesicht. Ein schwerer Schlag gegen die linke Schulter, ein ohrenbetäubender Knall, und die Welt drehte sich um ihn. Er taumelte und fiel auf ein altes, ehernes Bettgestell.

Mr. Parker notiert
    »Ein Mann ging in den Zoo und ließ sich zur Giraffe führen. Nachdem er sie eine Weile stumm betrachtet hatte, sagte er: ›Und ich glaub 's nicht, ‹«
    Parker war zuerst geneigt, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln; dann an Lady Marys. Und nachdem sich endlich die Wolken aus seinem Gehirn verzogen hatten, entschied er, daß sie wohl lediglich nicht die Wahrheit sagte.
    »Nun, Lady Mary«, sagte er in aufmunterndem, zugleich aber auch tadelndem Ton wie zu einem Kind, das eine zu lebhafte Phantasie hat, »Sie erwarten doch nicht, daß wir Ihnen das glauben, oder?«
    »Aber Sie müssen«, sagte sie ernst, »es ist einfach wahr. Ich habe ihn erschossen. Ich war's wirklich. Es war nicht direkt meine Absicht, sondern – nun ja, eigentlich mehr ein Unfall.«
    Mr. Parker stand auf und ging im Zimmer auf und ab.
    »Sie bringen mich in eine schreckliche Lage, Lady Mary«, sagte er. »Sehen Sie, ich bin Polizeibeamter. Ich hätte nie gedacht –«
    »Das macht doch nichts«, sagte Lady Mary. »Natürlich werden Sie mich verhaften müssen, oder festnehmen oder wie Sie das sonst nennen. Dazu bin ich ja hier. Ich bin vollkommen bereit, ohne Aufsehen mitzukommen – ist das der richtige Ausdruck? Trotzdem möchte ich zuerst alles erklären. Natürlich hätte ich das längst tun müssen, aber ich hatte eben den Kopf verloren, leider. Ich hatte nicht bedacht, daß man Gerald verdächtigen könnte. Ich hatte gehofft, man würde Selbstmord vermuten. Soll

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