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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ich jetzt vor Ihnen meine Aussage machen? Oder besser im Polizeipräsidium?«
    Parker stöhnte.
    »Man wird – mich nicht so schwer bestrafen, wenn es ein Unfall war, nicht?« In ihrer Stimme lag ein Zittern.
    »Nein – natürlich nicht. Aber wenn Sie doch nur schon früher den Mund aufgemacht hätten! Nein«, sagte Parker plötzlich und hielt mitten im Schritt inne, um sich neben sie zu setzen. »Das ist unmöglich – vollkommen absurd.« Mit einemmal nahm er Lady Marys Hände in die seinen. »Davon kann mich nichts überzeugen«, sagte er. »Es ist widersinnig. Das paßt nicht zu Ihnen.«
    »Aber wenn es doch ein Unfall –«
    »Das meine ich ja gar nicht – Sie wissen, daß ich das nicht meine. Aber daß Sie geschwiegen haben sollen –«
    »Ich hatte Angst. Aber jetzt will ich reden.«
    »Nein, nein, nein!« rief der Detektiv. »Sie lügen mir etwas vor. Aus ehrenwerten Motiven, das weiß ich; aber das ist es nicht wert. Kein Mann kann das wert sein. Lassen Sie ihn laufen, ich beschwöre Sie. Sagen Sie die Wahrheit. Decken Sie diesen Mann nicht. Wenn er Denis Cathcart ermordet hat –«
    »Nein!« Die Frau sprang auf und entriß ihm ihre Hände. »Es war gar kein anderer Mann da. Wie können Sie so etwas überhaupt sagen oder denken! Ich habe Denis Cathcart getötet; ich sage es Ihnen, und Sie sollen es mir glauben. Ich schwöre, daß kein anderer Mann zugegen war.«
    Parker nahm sich zusammen.
    »Setzen Sie sich, bitte. Lady Mary, sind Sie fest entschlossen, diese Aussage zu machen?«
    »Ja.«
    »Obwohl Sie wissen, daß ich dann dementsprechend handeln muß?«
    »Wenn Sie mich nicht anhören, gehe ich direkt zur Polizei.«
    Parker zückte sein Notizbuch. »Fangen Sie an«, sagte er.
    Nur ihre Hände spielten nervös mit den Handschuhen, sonst aber verriet Lady Mary keinerlei Emotionen, als sie mit klarer, fester Stimme ihr Geständnis abzulegen begann, als rezitierte sie etwas auswendig Gelerntes.
    »Am Mittwochabend, dem 13. Oktober, ging ich um halb zehn in mein Zimmer hinauf. Ich blieb noch auf, um einen Brief zu schreiben. Um Viertel nach zehn hörte ich meinen Bruder und Denis auf dem Flur streiten. Ich hörte, wie mein Bruder Denis einen Betrüger nannte und ihm verbot, jemals wieder mit mir zu sprechen. Dann hörte ich Denis aus dem Haus laufen. Ich lauschte eine Zeitlang, hörte ihn aber nicht zurückkommen. Um halb zwölf begann ich unruhig zu werden. Ich zog mich um und ging hinaus, um Denis zu suchen und ihn ins Haus zurückzuholen. Ich fürchtete, er könne irgendeine Verzweiflungstat begehen. Nach einer Weile fand ich ihn im Gebüsch. Ich bat ihn, mit mir zu kommen. Er weigerte sich und erzählte mir von den Vorwürfen meines Bruders und dem Streit. Ich war natürlich furchtbar entsetzt. Er meinte, es habe keinen Zweck, etwas zu leugnen, wenn Gerald ja doch entschlossen sei, ihn zu ruinieren, und er bat mich, mit ihm fortzugehen und ihn zu heiraten und im Ausland mit ihm zu leben. Ich sagte, ich sei erstaunt, daß er unter den Umständen so etwas vorschlage. Wir erregten uns beide sehr. Ich sagte: ›Komm jetzt ins Haus. Du kannst morgen mit dem ersten Zug abreisen.‹ Er schien fast von Sinnen. Er zog eine Pistole und sagte, er sei am Ende, sein Leben sei ruiniert, wir alle wären eine Bande von Heuchlern, und mir hätte nie etwas an ihm gelegen, sonst wäre es mir gleich, was er getan habe. Jedenfalls, wenn ich nicht mit ihm käme, sagte er, sei alles aus, und wenn schon, denn schon – er werde zuerst mich und dann sich erschießen. Ich glaube, er hatte vollkommen den Verstand verloren, Er zog den Revolver; ich packte seine Hand; wir kämpften; ich drückte ihm die Mündung gegen die Brust und – entweder habe ich abgedrückt oder das Ding ist von selbst losgegangen – das weiß ich nicht genau. Es ging alles so schnell und durcheinander.«
    Sie verstummte. Mr. Parkers Feder notierte die Worte, während sein Gesicht immer sorgenvoller wurde. Lady Mary fuhr fort:
    »Er war nicht gleich tot. Ich habe ihm aufgeholfen. Wir haben es fast bis zum Haus geschafft. Einmal ist er gefallen –«
    »Warum«, fragte Parker, »haben Sie ihn nicht liegen gelassen und sind ins Haus gelaufen, um Hilfe zu holen?«
    Lady Mary zögerte.
    »Das ist mir nicht eingefallen. Es war wie ein Alptraum. Ich konnte nur daran denken, wie ich ihn fortbekäme. Ich glaube – ich glaube, ich wollte, daß er starb.«
    Es folgte eine gequälte Pause.
    »Er ist gestorben. Vor der Tür ist er gestorben. Ich bin in den

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