Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
wissen schon.«
Wimsey betrachtete die Dame in der russischen Bluse mit neuem Respekt. Wenige Bücher hatten es bisher vermocht, ihm die Röte in die Wangen zu treiben, aber er erinnerte sich, daß einem von Miss Heath-Warburtons Büchern ebendies gelungen war. Die Autorin sagte gerade sehr eindrucksvoll zu ihrem Gesprächspartner:
»– je erlebt, daß eine ernste Gefühlsregung sich in einem Nebensatz ausdrückt?«
»Joyce hat uns vom Aberglauben der Syntax befreit«, pflichtete der krausköpfige Mann ihr bei.
»Szenen, die emotionale Geschichte machen«, fuhr Miss Heath-Warburton fort, »sollten idealerweise in einer Folge tierischer Schreie ausgedrückt werden.«
»Die D. H. Lawrence-Formel«, sagte der andere.
»Oder sogar Dada«, meinte die Schriftstellerin.
»Wir brauchen eine neue Notation«, sagte der Krauskopf, wobei er beide Ellbogen so auf den Tisch stützte, daß er Wimseys Brot zu Boden stieß. »Hast du Roben Snoates schon einmal seine eigenen Verse zu Tamtam und Pennyflöte rezitieren hören?«
Lord Peter entzog mit Mühe seine Aufmerksamkeit dieser faszinierenden Diskussion, um gerade mitzubekommen, daß Miss Tarrant etwas über Mary sagte.
»Ihre Schwester wird hier sehr vermißt«, sagte sie. »So etwas von Begeisterung. Sie hat auf den Versammlungen so gut gesprochen. Die hatte wirklich etwas für die Arbeiter übrig.«
»Das finde ich erstaunlich«, sagte Wimsey, »wenn ich bedenke, daß Mary noch nie im Leben einen Finger krumm machen mußte.«
»Oh, aber sie hat gearbeitet«, rief Miss Tarrant. »Für uns. Und wie großartig! Sie war fast ein halbes Jahr lang Sekretärin unserer Propagandagesellschaft. Und dann hat sie so fleißig für Mr. Goyles gearbeitet. Ganz zu schweigen von ihrer Zeit als Krankenschwester im Krieg. Natürlich billige ich Englands Haltung im Krieg nicht, aber keiner wird behaupten können, da sei nicht hart gearbeitet worden.«
»Wer ist Mr. Goyles?«
»Oh, das ist einer unserer führenden Redner – noch sehr jung, aber die Regierung hat richtig Angst vor ihm. Ich nehme an, er wird heut abend hier sein. Er hat im Norden Schulungen abgehalten, aber ich glaube, er ist wieder zurück.«
»Vorsicht!« rief Peter. »Ihre Perlen hängen schon weder im Teller.«
»So? Na ja, vielleicht bringen sie ein bißchen Geschmack an den Hammel. Ich fürchte, die Küche ist hier wirklich nicht sehr gut, aber dafür sind die Beiträge so niedrig, verstehen Sie? Es wundert mich, daß Mary Ihnen nie von Mr. Goyles erzählt haben soll. Sie waren doch damals so sehr befreundet. Alle haben gedacht, sie wird ihn heiraten – aber daraus scheint nichts geworden zu sein. Und dann ist Ihre Schwester aus der Stadt weggezogen. Wissen Sie etwas darüber?«
»Ach, der war das also? Doch, ja – das haben meine Leute nicht so ganz begriffen, verstehen Sie? Sie hielten Mr. Goyles wohl nicht für den Schwiegersohn ihrer Wünsche. Familienkrach und so. War selbst nicht da; außerdem hat Mary sowieso nie auf mich gehört. Jedenfalls hab ich das so verstanden.«
»Wieder so ein Beispiel für die absurde, altmodische elterliche Tyrannei«, sagte Miss Tarrant heftig. »Man sollte so etwas gar nicht mehr für möglich halten – in Nachkriegszeiten.«
»Ich weiß nicht«, sagte Wimsey, »ob man es so nennen kann. Nicht direkt elterlich. Meine Mutter ist eine sehr ungewöhnliche Frau. Ich glaube nicht, daß sie sich da eingemischt hat. Soviel ich weiß, wollte sie Mr. Goyles sogar nach Denver einladen. Aber mein Bruder hat sich auf die Hinterbeine gestellt.«
»Na bitte, was kann man denn anderes erwarten?« meinte Miss Tarrant verächtlich. »Aber ich weiß gar nicht, was ihn das anging.«
»Oh, natürlich nichts«, pflichtete Wimsey ihr bei. »Nur daß mein Bruder nach den beschränkten Vorstellungen meines Vaters über das, was sich für eine Frau geziemt, Marys Geld so lange verwaltet, bis sie mit seiner Zustimmung heiratet. Ich finde das ja auch nicht gut – ich finde es sogar abscheulich. Aber so ist es nun mal.«
»Ungeheuerlich!« sagte Miss Tarrant und schüttelte dabei den Kopf so heftig, daß sie aussah wie ein Struwwelpeter. »Barbarisch! Eben rein feudalistisch. Aber was ist schon Geld?«
»Natürlich nichts«, sagte Peter. »Aber wenn man dazu erzogen worden ist, immer welches zu haben, ist es ein bißchen hart, plötzlich darauf verzichten zu müssen. Das ist wie mit dem Baden.«
»Ich verstehe nicht, wie es Mary überhaupt etwas ausgemacht haben kann«, beharrte Miss
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