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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Wintergarten gegangen und habe mich hingesetzt. Stundenlang habe ich dagesessen und versucht zu denken. Ich habe ihn gehaßt, weil er ein Betrüger und ein Schuft war. Ich war auf ihn hereingefallen, verstehen Sie – zum Narren gehalten worden von einem gemeinen Falschspieler. Ich war froh, daß er tot war. Ich muß stundenlang dagesessen haben, ohne einen zusammenhängenden Gedanken fassen zu können. Erst als mein Bruder kam, ist mir richtig klargeworden, was ich getan hatte und daß man mich verdächtigen könnte, ihn ermordet zu haben. Ich hatte einfach schreckliche Angst. Darum habe ich mich in einem Sekundenbruchteil entschlossen, so zu tun, als ob ich von nichts wüßte – als ob ich einen Schuß gehört hätte und heruntergekommen wäre. Sie wissen ja, was ich getan habe.«
    »Nun, Lady Mary«, sagte Parker in vollkommen ungerührtem Ton, »warum haben Sie dann zu Ihrem Bruder gesagt: ›Mein Gott, Gerald, du hast ihn getötet‹?«
    Erneutes Zögern.
    »Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt: ›Mein Gott, Gerald, er ist also tot.‹ Ich hatte nie etwas anderes andeuten wollen als Selbstmord.«
    »Sie haben diese Worte aber bei der Untersuchungsverhandlung bestätigt.«
    »Ja –« Ihre Hände knautschten die Handschuhe in alle möglichen Formen. »Inzwischen hatte ich mir doch diese Einbrechergeschichte zurechtgelegt.«
    Das Telefon klingelte, und Parker ging an den Apparat. Eine Stimme tönte dünn durch den Draht:
    »Ist dort 110 A Piccadilly? Hier Krankenhaus Charing Cross. Heute nacht wurde hier ein Mann eingeliefert, der angibt, Lord Peter Wimsey zu sein. Er hat einen Schuß in die Schulter bekommen und sich beim Hinfallen den Kopf angeschlagen. Er ist eben erst wieder zu Bewußtsein gekommen. Man hat ihn um Viertel nach neun gebracht. Nein, jetzt geht es ihm wahrscheinlich wieder sehr gut. Doch, kommen Sie auf alle Fälle.«
    »Peter ist angeschossen worden«, sagte Parker. »Kommen Sie mit zum Krankenhaus Charing Cross? Sie sagen, er ist nicht in Lebensgefahr; trotzdem –«
    »Schnell!« rief Lady Mary.
    In der Diele schnappten sie sich schnell noch Mr. Bunter, dann rannten Polizist und Selbstbezichtigte auf den Piccadilly hinaus, erwischten an der Hyde Park Corner ein spätes Taxi und fuhren in rasendem Tempo durch die leeren Straßen.

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    »Und die Moral davon ist –« sagte die Herzogin ...
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    Vier Personen saßen am nächsten Morgen zu einem sehr späten Frühstück, oder einem sehr frühen Lunch, in Lord Peters Wohnung versammelt. Der fröhlichste von ihnen war, trotz schmerzender Schulter und entsetzlichem Kopfweh, zweifellos Lord Peter selbst, der zwischen weichen Kissen auf dem Sofa lag und Tee und Toast schlemmte. Nachdem man ihn im Krankenwagen nach Hause gebracht hatte, war er sofort in einen heilsamen Schlaf gesunken und um neun Uhr mit klarem Verstand und überaus unternehmungslustig aufgewacht. Daraufhin hatte er Mr. Parker, nur halb gesättigt und beladen mit der verheimlichten Erinnerung an die Enthüllungen des vergangenen Abends, auf schnellstem Wege zu Scotland Yard geschickt, um die Maschinerie in Gang zu setzen, die Peters Attentäter fangen sollte. »Aber sag nichts von dem Angriff auf mich«, hatte Seine Lordschaft gesagt. »Sag ihnen nur, daß er als Zeuge im Fall Riddlesdale benötigt wird. Das ist alles, was die wissen müssen.« Jetzt war es elf, und Mr. Parker war zurückgekehrt, verdrießlich und hungrig, und ließ sich ein spätes Omelett zu einem Glas Rotwein schmecken.
    Lady Mary Wimsey saß zusammengekauert am Fenster. Ihr goldblonder Haarschopf umgab ihr Gesicht im Schein der blassen Herbstsonne mit einem feinen Schimmer. Sie hatte schon vorher etwas zu frühstücken versucht; jetzt saß sie nur noch da und starrte auf den Piccadilly hinaus. Heute morgen war sie zunächst in Lord Peters Morgenmantel erschienen, aber inzwischen trug sie einen Rock aus Serge und einen jadegrünen Jumper; diese Kleidungsstücke hatte ihr die vierte im Bunde, die jetzt gelassen einen Mixed Grill verzehrte und sich mit Parker die Karaffe Rotwein teilte, nach London mitgebracht.
    Es handelte sich um eine kleine, etwas pummelige, aber sehr energische ältere Dame mit funkelnden schwarzen Vogelaugen und sehr schönem, kunstvoll frisiertem weißem Haar. Man sah ihr nicht an, daß sie gerade eine lange Nachtfahrt hinter sich hatte; vielmehr war sie von den im Zimmer Anwesenden mit Abstand die ruhigste und frischeste. Was jedoch nicht ausschloß, daß sie sehr

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