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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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deprimierter. Weißt du, Denis hatte etwas an sich, was mich ein wenig erschreckte. Er war so außerordentlich reserviert. Ich weiß ja, ich wollte in Ruhe gelassen werden, aber – na ja, es war irgendwie unheimlich! Er war so korrekt. Sogar wenn er einmal aus sich herausging und leidenschaftlich wurde – was nicht oft vorkam –, auch dann verhielt er sich noch korrekt. Unglaublich! Wie in einem dieser komischen französischen Romane – du weißt ja, Peter: unwahrscheinlich heiße Sachen, aber vollkommen unpersönlich.«
    »He, Charles!« sagte Lord Peter.
    »Hm?«
    »Das ist wichtig! Kapierst du, wie wichtig das ist?«
    »Nein.«
    »Macht auch nichts. Erzähl weiter, Polly.«
    »Mache ich dir auch kein Kopfweh?«
    »Abscheuliches; aber ich hab das gern. Erzähl nur weiter. Ich lasse mir schon keine Lilien wachsen aus Seelenpein und Fiebertau. Ich hänge gebannt an deinen Lippen. Was du mir eben erzählt hast, war aufschlußreicher als alles, was ich die ganze Woche zu hören bekommen habe.«
    »Nanu!« Mary sah Peter mit großen Augen an, und alle Feindseligkeit war aus ihrem Blick gewichen. »Ich hätte nie gedacht, daß du das verstehst.«
    »Du lieber Himmel«, sagte Peter. »Wieso denn nicht?«
    Mary schüttelte den Kopf. »Nun, ich habe also die ganze Zeit mit George in Briefverbindung gestanden, und Anfang des Monats schrieb er mir plötzlich, er komme aus Deutschland zurück und habe eine Stelle beim Thunderclap – das ist die sozialistische Wochenzeitung – für ein Anfangsgehalt von vier Pfund die Woche, und ich solle doch diese ganze Kapitalistenbrut sausen lassen und mit ihm als ehrliche Arbeiterfrau leben. Er könne mir einen Sekretärinnenposten bei der Zeitung verschaffen. Da könne ich für ihn tippen und so weiter und ihm helfen, seine Artikel zusammenzustellen. Und er hat gemeint, zusammen müßten wir dann etwa sechs bis sieben Pfund die Woche verdienen, was zum Leben mehr als genug sei. Inzwischen wurde Denis mir von Tag zu Tag unheimlicher, und so habe ich ja gesagt. Aber ich wußte, daß es fürchterlichen Krach mit Gerald geben würde. Und im Grunde habe ich mich auch ein bißchen geschämt, die Verlobung war doch schon bekanntgegeben, und dann das gräßliche Gerede und die Leute, die versuchen würden, es mir auszureden. Auch hätte Denis womöglich Gerald die Hölle heiß gemacht – er war so einer. Also haben wir beschlossen, daß wir am besten einfach durchbrennen und erst einmal heiraten sollten, um dem ganzen Knatsch zu entgehen.«
    »Sehr richtig«, meinte Peter. »Außerdem hätte sich das gut in der Zeitung gemacht, nicht? HERZOGSTOCHTER HEIRATET SOZIALISTEN – ROMANTISCHE FLUCHT IM BEIWAGEN – ›6 £ DIE WOCHE SIND MEHR ALS GENUG‹, SAGT IHRE LADYSCHAFT.«
    »Ekel!« sagte Lady Mary.
    »Danke«, sagte Peter. »Ich hab verstanden. Und daraufhin sollte der romantische Goyles dich also in Riddlesdale abholen – warum Riddlesdale? Von London oder Denver aus wär's doppelt so leicht gewesen.«
    »Nein. Erstens hatte er sowieso im Norden zu tun. Zweitens kennt einen in der Stadt jeder, und – überhaupt, wir wollten nicht länger warten.«
    »Außerdem hätte man den Jung-Lochinvar-Anstrich vermißt. Na gut. Aber warum zu so gottloser Stunde um drei Uhr morgens?«
    »Er hatte Mittwoch abend eine Versammlung in Northallerton. Von dort wollte er gleich kommen und mich holen, und dann wollten wir sofort nach London fahren und mit Sonderlizenz heiraten. Wir haben reichlich Zeit eingeplant. Schließlich mußte George am nächsten Tag wieder im Büro sein.«
    »Aha. Gut, dann werde ich jetzt mal weitererzählen, und du unterbrichst mich, wenn ich etwas Falsches sage. Du bist am Mittwochabend um halb zehn nach oben auf dein Zimmer gegangen und hast deinen Koffer gepackt. Du – hast du auch daran gedacht, einen Trostbrief für deine trauernden Freunde und Angehörigen zu hinterlassen?«
    »Ja, ich habe einen geschrieben, aber –«
    »Versteht sich. Dann bist du zu Bett gegangen, denke ich, oder hast wenigstens die Decke zurückgeschlagen und dich etwas hingelegt.«
    »Ja. Ich habe mich hingelegt. Und das war gut so, denn hinterher –«
    »Eben. Du hättest nicht mehr viel Zeit gehabt, dem Bett morgens noch ein glaubhaftes Aussehen zu geben, und daswäre uns zu Ohren gekommen. Übrigens, Parker, als Mary dir gestern abend ihre Sünden beichtete, hast du dir da Notizen gemacht?«
    »Ja«, sagte Parker, »falls du meine Kurzschrift lesen kannst.«
    »Und ob«, sagte Peter. »Also, das

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